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Der Kategorische Imperativ, interpretiert

Der Kategorische Imperativ ist das Herzstück der Ethik Immanuel Kants, der 1724 im preußischen Königsberg geboren wurde und 1804 dort starb: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Bemerkenswert ist, dass Kant den Kategorischen Imperativ in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ formal aus einleuchtenden Voraussetzungen ableitet. So kann man sich von seiner Richtigkeit überzeugen. Dies unterscheidet ihn von anderen Ethiken, die reizvoll sein mögen, doch nicht für die Vernunft einzusehen, sondern nur durch Glauben oder Empfindung annehmbar sind.

Nicht nur vom Kategorischen Imperativ kann man sich selbst überzeugen – auch all die praktischen Regeln, die sich daraus fürs Leben ergeben, gibt einem kein anderer als man selbst. Es obliegt den Menschen und ihrer Vernunftbegabung, mittels des Kategorischen Imperativs einen ethisch richtigen Weg zu finden. So braucht auch nicht zu verwundern, dass es viele richtige Wege geben kann.

Grundfalsch wäre jedoch, den Kategorischen Imperativ mit Beliebigkeit oder der sogenannten Goldenen Regel (was du nicht willst, dass man dir tu’, das füge keinem andren zu) zu verwechseln. Dass Letzteres dennoch häufig geschieht, deutet darauf hin, dass der Kategorische Imperativ nicht ganz leicht zu verstehen ist. Es kommt oft auf Feinheiten an.

Ich brauchte einige Zeit und Energie, bis ich mit Veröffentlichungen von sowie über Kant Unklarheiten ausgeräumt und ein gutes Verständnis entwickelt hatte, den Kategorischen Imperativ praktisch anwenden konnte. Auf dieser Seite dokumentiere ich meine Interpretation mit einer Reihe subtiler Punkte, die bedacht werden wollen. Es würde mich freuen, wenn dies auch anderen nutzt.

Mein Anspruch ist nicht, in allem mit Kant übereinzustimmen. Das tue ich auch nicht! Ebenso wenig hoffe ich, dass du, lieber Leser, mir in allem folgst. Der Anschaulichkeit halber arbeite ich mit konkreten Beispielen für Maximen, die ich der Prüfung durch den Kategorischen Imperativ unterziehe. Übernimm diese Überlegungen nicht unbedacht. Gebrauche dein eigenes Denkvermögen!

Voraussetzungen

Im Laufe der Zeit entdecken wir in den Beziehungen zwischen den Dingen in der Natur überall Regelmäßigkeiten, die ausnahmslos zu gelten scheinen, und die wir Naturgesetze nennen. Einen heutigen Zustand verstehen wir als Folge des vergangenen, wobei Folge nicht nur die zeitliche Abfolge, sondern ebenso ein Prinzip von Ursache und Wirkung meint.

Auch unsere Taten folgen zeitlich und ursächlich auf anderes: Vor Handlungen, zu denen wir uns bewusst entschieden haben, liegt der Wille mit der Willensbildung. Mit freiem Willen meint man, dass dieser Wille seinerseits nicht vollständig durch äußere Ursachen bestimmt, sondern selbstbestimmt sei. Ein anderes Wort hierfür ist „autonom“, von „autos“ (selbst) und „nomos“ (Gesetz).

Wir Menschen haben den Eindruck eines freien Willens. Es scheint, als wären wir bei einer soeben gefällten Entscheidung durchaus in der Lage gewesen, auch anders zu entscheiden. Ob es einen freien Willen wirklich gibt oder er Illusion ist, wird von Hirnforschern, Philosophen, Theologen, Informatikern, Juristen und anderen diskutiert, ohne dass bislang ein Abschluss gefunden wäre.

Für uns selbst betreffende praktische Belange können wir einen freien Willen aber unterstellen – wenn er real sein sollte, sowieso zu Recht; wenn er nur eine Illusion ist, gehören die Schlussfolgerungen aus einem freien Willen ebenso in diese Illusion. Ohne Annahme eines freien Willens bräuchten wir keine Entscheidung bedenken und uns nicht mit der Frage nach richtigem Handeln beschäftigen.

Schlau dreinschauender Labrador Retriever vor Gymnastikball
Wie vernünftig ist dieser Hund?

Fraglos ist unser Wille nicht immer nur selbstbestimmt. Wir haben natürliche Bedürfnisse, Instinkte, Triebe et cetera, die teils angeboren sind und in unsere Willensbildung einfließen. Vernunft ist die Fähigkeit, jenseits solcher Sinneseindrücke richtige Schlüsse zu ziehen und Einsichten zu gewinnen – auch diese nach Gesetzmäßigkeiten, doch solchen wie der Logik, die keine Naturgesetze sind.

Die Gesetze der Vernunft teilen mit den Naturgesetzen, dass sie nur in sich widerspruchsfrei sein können, jederzeit, ausnahmslos gelten sowie miteinander vereinbar sind. Von den Naturgesetzen unterscheidet sie unter anderem, dass wir ihnen zuwiderhandeln können. Die Vernunft zu gebrauchen und entsprechend zu handeln ist eine Angelegenheit des Wollens und Sollens.

Der Kategorische Imperativ

Die Gesetze der Vernunft in uns enthalten nicht die Antworten auf alle Fragen nach dem Umgang mit der Welt um uns. Man kann sie aber als Prüfkriterien nutzen. Eine praktische Regel, nach der man handeln möchte, kann nur richtig sein, wenn sie mit den Gesetzen der reinen Vernunft und der Natur vereinbar ist. Das ist sie, wenn sie ihnen widerspruchsfrei hinzugesellt werden kann.

Der Kategorische Imperativ in Kants Worten: „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“1 Schauen wir uns ein Beispiel an: Eine Maxime, nach der ich handeln möchte, könnte die folgende sein.

Wenn ich diese Maxime auf Tauglichkeit zum allgemeinen Gesetz prüfe,2 ersetze ich darin zunächst, was sich auf mich bezieht, durch eine Formulierung, die sich auf alle vernünftigen Wesen bezieht. Statt „ich“ könnte man „man“ oder Ähnliches einsetzen. In diesem Beispiel mache ich es so:

Nun überlege ich, ob nichts an einem solchen allgemeinen Gesetz widersprüchlich wäre und ob es überhaupt geeignet sein könnte, meine (hier nicht ausdrücklich formulierte) Absicht, dass mir wärmer wird, zu erreichen – also, ob so eine Regel vernünftig wäre. Ist sie das, überlege ich noch, ob mir die mutmaßlichen Folgen eines solchen allgemeinen Gesetzes auch recht wären.

Im Beispiel finde ich keinen ernsthaften Grund, warum ich nicht wollen könnte, dass die Maxime allgemeines Gesetz werde. Gewiss, das Beispiel ist trivial – wir würden solch ein Gesetz wohl kaum in ein Gesetzbuch schreiben. Das ist auch nicht das Ziel. Es geht darum, sich zu versichern, dass man mit der Maxime nicht wider die Vernunft handelt.

Maximen scheitern unterschiedlich

Maximen können beim Prüfen, ob man wollen kann, dass sie zu einem allgemeinen Gesetz werden, auf unterschiedliche Weise scheitern. Schauen wir uns drei Maximen an:

Aus der Ablehnung aller allgemeinen Gesetze ein allgemeines Gesetz zu machen, wie man es im Fall der ersten Maxime wollen können müsste, ist widersinnig. Würde die zweite Maxime allgemeines Gesetz, müssten zwei Nachbarn ohne Gartenzwerge einander dennoch je einen wegnehmen, also Unmögliches vollbringen; Nachbarn mit Gartenzwergen wären nur noch mit gegenseitigem Zwergenraub beschäftigt.

Bei der dritten Maxime ist die Situation weniger klar. Man kann sie sich gewiss als allgemeines Gesetz denken. Ob derjenige, der diese Maxime mit dem Kategorischen Imperativ prüft, auch wollen kann, dass sie zum allgemeinen Gesetz werde, hängt von Befindlichkeiten ab. Widerstrebt es ihm so wie vielen Menschen, wenn andere sich über seine Missgeschicke lustig machen, oder nicht?

Bei den ersten beiden Maximen müssten alle vernünftigen Wesen bei sorgfältigem Nachdenken zu dem Schluss kommen, dass diese unzulässig sind. Auch nicht nach der dritten Maxime zu handeln ist löblich, aber nicht gleichermaßen zwingend.

Von Verboten und Geboten

Wenn man von einer Maxime nicht wollen kann, dass sie allgemeines Gesetz werde, darf man sie nicht zur Grundlage des eigenen Handelns machen. Der Kategorische Imperativ besagt aber nicht, dass man sich eine Maxime zu eigen machen müsste, wenn man wollen kann, dass sie allgemeines Gesetz werde. Insoweit ist der Kategorische Imperativ nur eine Vetoinstanz gegen unethische Maximen. Er verbietet.

Handlungen aber können auch geboten sein: Unsere Sprache kennt Verben (Tätigkeitsworte) wie fasten, ignorieren und ruhen, welche passives Verhalten beschreiben. Wenn man für einen solchen „Akt der Untätigkeit“ – etwa jemandes Not zu ignorieren, dem allein man selbst und ohne eigene Nachteile helfen kann – keine gültige Maxime hat, dann darf man nicht untätig sein, ist also zur aktiven Tat verpflichtet.

Viele Maximen für eine Handlung

Schauen wir uns drei Maximen an, die sich eine homosexuelle Person vornehmen könnte:

Ich denke, die erste Maxime wäre als allgemeines Gesetz untauglich – zumindest ohne die Möglichkeit künstlicher Befruchtung zu berücksichtigen: Dürfte man nur gleichgeschlechtlichen Sex haben, gäbe es keine Menschheit und keiner wäre da, um Gesetze zu machen oder gleichgeschlechtlichen Sex zu haben. Das Gesetz würde sich seiner eigenen Voraussetzungen berauben.

Auch die zweite Maxime ist als allgemeines Gesetz nicht wirklich denkbar, denn wir müssen mit einer Prise Realismus annehmen, dass es auch Menschen gibt, bei denen der Wunsch zum Geschlechtsverkehr nicht auf Gegenseitigkeit beruht. In jenem Fall könnten nicht beide zugleich das Gesetz einhalten: Dem einen würde es den Geschlechtsverkehr gebieten, dem anderen verbieten.

Nur von der dritten Maxime kann man wollen, dass sie allgemeines Gesetz werde – dabei könnten im Einzelfall alle drei Maximen genau auf dieselbe Handlung hinauslaufen.3 Wichtig zu verstehen ist also, dass der Kategorische Imperativ im Allgemeinen nicht die Handlung selbst beurteilt und gegebenenfalls verbietet, wie es juristische Gesetze tun, sondern die Maxime, nach der man handelt.4

Manche Handlungen sind immer verboten

Manche Handlungen verbietet der Kategorische Imperativ allerdings unbedingt, nämlich wenn es dazu überhaupt keine Maxime geben kann, von der man wollen kann, dass sie allgemeines Gesetz werde. Prominent ist das Beispiel des Lügens – unwahrhaft sein, in Täuschungsabsicht die Unwahrheit sagen. Lügen ist gemäß Kant selbst dann verboten, wenn man meint, dadurch ein Leben zu retten.5

Mit einer Lüge ist der Vorsatz verbunden, dass sie für wahr gehalten wird. Wenn aber durch ein allgemeines Gesetz auch nur in Ausnahmefällen erlaubt oder geboten wäre zu lügen, würde dies das Vertrauen untergraben und niemand die Lüge in diesen Fällen für wahr halten. Lügen wäre aussichtslos. Man kann daher ein entsprechendes allgemeines Gesetz nicht wollen.

Manche Maximen passen nicht zueinander

Schauen wir uns zwei Maximen an:

Weder die eine Maxime noch die andere scheitert, wenn ich sie auf Tauglichkeit für ein allgemeines Gesetz prüfe. Insofern spricht ethisch gegen das Handeln nach keiner der Maximen etwas. Würde ich mir aber beide Maximen vornehmen, wäre das in etwa äquivalent zu:

Von dieser Maxime kann ich nicht wollen, dass sie allgemeines Gesetz werde: Alle Menschen würden ausgezehrt und schließlich sterben. Tot könnte ich nichts wollen. Es genügt also nicht, jede Maxime isoliert zu betrachten, sondern man muss sie auch auf Vereinbarkeit mit den anderen Maximen prüfen, nach denen man handelt und die man sich selbst damit zum Gesetz macht.

Man kann keine unvereinbaren Gesetze wollen. Heißt das aber, dass man sich nicht ändern darf, weil jede neue Handlungsentscheidung ein Gesetz in Kraft setzt, das einen auf ewig bindet? Nein, ich denke, das muss so nicht sein. Wenn man von einem Monat zum nächsten zwischen den eingangs aufgeführten Maximen wechselte, dann wäre das äquivalent zu einer ethisch erlaubten Maxime wie:

In der arbeitsteiligen Gesellschaft

Wir leben in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, in welcher Menschen unterschiedliche Kompetenzen besitzen.6 Meine Intuition sagt mir, dass aufgrund dessen ethisch vertretbar oder gar geboten sein kann, dass ein Mensch etwas unternimmt, was einem anderen verboten ist. Ich denke beispielsweise ans Öffnen des Körpers durch einen Chirurgen oder die Verurteilung durch einen Richter.

Wie lässt sich das mit dem Umstand verbinden, dass die Maxime des Handelnden zu einem allgemeinen Gesetz taugen muss? Schauen wir uns beispielhaft folgende Maxime an:

Ich kann nicht wollen, dass dies allgemeines Gesetz werde: Über Recht und Unrecht haben Menschen unterschiedliche Vorstellungen, zudem irren wir leicht bezüglich der Täterschaft. Wenn das Strafen in jedermanns Hand läge, liefe ich Gefahr, bestraft zu werden, ohne Schuld auf mich geladen zu haben. Das wäre Unrecht. Zu dieser Einsicht müsste ein Richter erst recht gelangen.

Ich denke, dieses Problem lässt sich auflösen, indem der Richter sich stets seiner besonderen Verantwortung bewusst ist und nicht vergisst, woher seine außergewöhnlichen Kompetenzen stammen. Nicht zufällig werden Gerichtsurteile in Deutschland mit der Eingangsformel „Im Namen des Volkes“ gefällt. Der Richter könnte dies in seiner Maxime wie folgt berücksichtigen:

Dies lässt sich nun in eine Form bringen, von der man wollen kann, dass sie allgemeines Gesetz werde:

Von vernunftlosen Tieren

Da der Kategorische Imperativ formal aus der Freiheit des Willens und der Vernunftbegabung abgeleitet ist, kann er uns zwar viel über den Umgang mit vernünftigen Wesen wie uns selbst und anderen Menschen sagen. Über den Umgang mit vernunftlosen Tieren ist seine Aussagekraft allerdings beschränkt.7 Schauen wir uns zwei Maximen an:

Die erste Maxime kann man nicht zum allgemeinen Gesetz erhoben haben wollen, denn auch andere hätten dann das Recht, einen zu quälen, was als länger andauernde, nahezu unerträgliche Empfindung des Leidens dem eigenen Streben zuwider ist. Bei der zweiten Maxime würde sich dieser Interessenkonflikt so nicht ergeben, da man nicht zu den potenziell Gequälten gehört.

Laut Kant führt Grausamkeit gegenüber den unvernünftigen Tieren aber zur Abstumpfung des Menschen, was für den Menschen selbst einen Verlust bedeute und „eine der Moralität im Verhältnisse zu anderen Menschen sehr diensame natürliche Anlage“8 schwäche und tilge. So begründet er auch eine Pflicht zur Dankbarkeit gegenüber Tieren, die einem gute Dienste geleistet haben.

Kants Argumentation finde ich nicht zwingend. Zum einen setzt Abstumpfung zunächst Mitgefühl voraus, zum anderen entbände die Abstumpfung anderer auch gegen menschliches Leid sie nicht von ihren ethischen Pflichten gegenüber Menschen. So ist vorstellbar, dass ein Psychopath wollen kann, dass eine Maxime zur Tierquälerei allgemeines Gesetz werde, also für ihn ethisch zulässig erscheint.

Der formal nur aus freiem Willen und Vernunft abgeleitete Kategorische Imperativ ist vermutlich ungeeignet, Einschränkungen für den Umgang mit unvernünftigen Wesen allgemeingültig zu begründen.

Von willkürlichen Einschränkungen

Schauen wir uns zwei weitere Maximen an:

Von der erste Maxime kann ich nicht wollen, dass sie allgemeines Gesetz werde: Ist jemand andersfarbig als ich, bin ich andersfarbig als er. Man dürfte mir also einen fremden Willen aufzwingen. Fremdbestimmt könnte ich nicht mehr tun, was ich will – unter anderem niemandem meinen Willen aufzwingen. Doch wie würde die zweite Maxime in die Form eines allgemeinen Gesetzes übertragen lauten? Vielleicht so?

Für jemanden, der hellhäutig ist, ergäbe sich hier ähnlich wie im Beispiel der vernunftlosen Tiere nicht notwendigerweise ein Interessenkonflikt. Ein blasser Sklavenhändler könnte dies wollen. Wäre es für ihn also ethisch erlaubt oder wurde der Kategorische Imperativ falsch angewendet? Letzteres ist der Fall. Der Fehler ist allerdings subtil.9

Die Bedingung der Hautfarbe ist weder an die Vernunft als Voraussetzung für den Kategorischen Imperativ gebunden, noch gibt es einen sachlichen Bezug zur beabsichtigten Handlung.10 Sie ist rein willkürlich gesetzt. Um ein allgemeines Gesetz werden zu können, muss eine Regel aber von beliebigen, subjektiven Einschränkungen befreit sein.11

Ich denke, man kann nicht verlangen, dass sich jemand keine Einschränkungen gibt. Aber genauso, wie wir für die Formulierung eines allgemeinen Gesetzes von der konkreten Person „ich“ in der Maxime zu einer allgemeinen Person „man“ wechseln, müssen wir von einer konkreten willkürlichen Bedingung in der Maxime zu willkürlichen Bedingungen allgemein übergehen, beispielsweise:

Von dieser Formulierung kann ich nun wieder nicht wollen, dass sie allgemein gelte, da auch eine Gruppe, der ich angehöre, willkürlich zur Unterwerfung des Willens ausgewählt werden könnte.

Ehrlichkeit mit sich selbst

Übung, Sorgfalt und eine Portion Selbstkritik sind hilfreich, um keiner Selbsttäuschung zu erliegen. Da man sich seine Maximen selbst wählt und niemand anderes als man selbst prüft, ob diese Maximen ethisch vertretbar sind, ist das Schummeln leicht. An Gelegenheiten mangelt es nicht, zum Beispiel:

Letztendlich nimmt man die ethische Prüfung nicht nur selbst, sondern auch für sich selbst vor. Wer unbedingt auf eine Handlung aus ist, die ihm die Ethik verbietet, kann sich schlicht gegen die Ethik entscheiden und tun, wonach ihm verlangt. Dies hat immerhin den Vorzug der Ehrlichkeit – falls die unethische Handlung keine Lüge ist – und kostet weniger Aufwand als der Selbstbetrug.


  1. Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; AA IV, S. 421
  2. „Maxime ist das subjective Princip zu handeln und muß vom objectiven Princip, nämlich dem praktischen Gesetze, unterschieden werden. Jene enthält die praktische Regel, die die Vernunft den Bedingungen des Subjects gemäß (öfters der Unwissenheit oder auch den Neigungen desselben) bestimmt, und ist also der Grundsatz, nach welchem das Subject handelt; das Gesetz aber ist das objective Princip, gültig für jedes vernünftige Wesen, und der Grundsatz, nach dem es handeln soll, d. i. ein Imperativ.“ – Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; AA IV, S. 420
  3. Kant wertete homosexuelle Handlungen allerdings grundsätzlich als Verbrechen wider die Natur und als im höchsten Maße unethisch. Siehe Immanuel Kant: Vorlesungen über Moralphilosophie; AA XXVII, S. 391
  4. „Die Ethik giebt nicht Gesetze für die Handlungen (denn das thut das Ius), sondern nur für die Maximen der Handlungen.“ – Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten; AA VI, S. 388
  5. Siehe Immanuel Kant: Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen
  6. Das war zu Kants Zeiten nicht anders und wurde von ihm wertgeschätzt: „Alle Gewerbe, Handwerke und Künste haben durch die Vertheilung der Arbeiten gewonnen, da nämlich nicht einer alles macht, sondern jeder sich auf gewisse Arbeit, die sich ihrer Behandlungsweise nach von andern merklich unterscheidet, einschränkt, um sie in der größten Vollkommenheit und mit mehrerer Leichtigkeit leisten zu können.“ – Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; AA IV, S. 388
  7. „Nach der bloßen Vernunft zu urtheilen, hat der Mensch sonst keine Pflicht, als blos gegen den Menschen (sich selbst oder einen anderen); denn seine Pflicht gegen irgend ein Subject ist die moralische Nöthigung durch dieses seinen Willen.“ – Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten; AA VI, S. 442
  8. Immanuel Kant: Die Metaphysik der Sitten; AA VI, S. 443, § 17
  9. Kant fände es wohl nicht subtil: „Welche Form in der Maxime sich zur allgemeinen Gesetzgebung schicke, welche nicht, das kann der gemeinste Verstand ohne Unterweisung unterscheiden.“ – Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft; AA V, S. 27
  10. Einen sachlichen Bezug der Hautfarbe zur Handlung hätte man beispielsweise, wenn es ums Auftragen einer Sonnenschutzkrem ginge. Ein anderes, zynisches Beispiel: „Die Mohren, ingleichen alle Einwohner der heißen Zone haben eine dicke Haut, wie man sie denn auch nicht mit Ruthen, sondern gespaltenen Röhren peitscht, wenn man sie züchtigt, damit das Blut einen Ausgang finde und nicht unter der dicken Haut eitere.“ – Immanuel Kants physische Geographie. Auf Verlangen des Verfassers aus seiner Handschrift herausgegeben und zum Theil bearbeitet von D. Friedrich Theodor Rink; AA IX, S. 313.
  11. „Zu ihrer [d. h. derjenigen der Vernunft] Gesetzgebung aber wird erfordert, daß sie blos sich selbst vorauszusetzen bedürfe, weil die Regel nur alsdann objectiv und allgemein gültig ist, wenn sie ohne zufällige, subjective Bedingungen gilt, die ein vernünftig Wesen von dem andern unterscheiden.“ – Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft; AA V, S. 20f