Durch den Elm
Teil 2: Vom Eilumer Horn nach Königslutter
Grabkreuz? Nein, Gipfelkreuz. Das Eilumer Horn ist der höchste Punkt des Elms. In einem ersten Fotobericht zur Überquerung des niedersächsischen Höhenzugs erzählte ich vom Weg von Schöppenstedt zum Eilumer Horn. In diesem zweiten Teil geht es durchs Reitlingstal und weiter gen Norden nach Königslutter am Elm.
Das Eilumer Horn weist eine Höhe von 323,3 Metern über dem Meeresspiegel auf. Damit gehört es nicht zu den Top-Kandidaten für die Suche nach den auffälligsten Bergriesen Deutschlands. Etwa mittig zwischen Hannover und Magdeburg im Braunschweiger Land gelegen überragt der Elm allerdings ganz Nordostdeutschland mit Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Altmark und Wendland.
Im Gipfelbuch hinterließ ich eine kleine Zeichnung, bevor Mathies, Migo und ich den Abstieg wagten, wobei ich wie bei einem ähnlichen Vorfall im Aufstieg auf dem schmierigen Boden ausrutschte. So eine unverhoffte Begegnung mit der Bodengesellschaft kann interessante Perspektiven bieten, die sogleich im Bild festgehalten werden wollen.
Mathies verewigte derweil in einem Foto das knipsende Sturzopfer, seine Rutschspuren und einen Zuschauer. Dass hier kein Fall außerordentlicher Tollpatschigkeit vorlag, sondern tatsächlich der Grund Grund für die Stürze war, zeigt sich daran, dass es an diesem Tag noch einen weiteren Zweibeiner aus unserem Trio erwischte.
Doch genug der Unfallberichterstattung. Zwei Zahlen zum Elm: In Längsrichtung misst der Höhenzug etwa zwanzig, quer etwa acht Kilometer. Da man sowohl das Waldgebiet, die Erhebung ab einer bestimmten Höhenlage als auch geologische Strukturen vermessen kann, sollten diese Werte nicht zu genau genommen werden. Für unterschiedliche Angaben lassen sich jeweils gute Argumente anführen.
Als wir vom Eilumer Horn abstiegen, verließen wir keineswegs den Elm, sondern begaben uns bis auf etwa 190 Meter über dem Meeresspiegel hinab in sein größtes Tal, das Reitlingstal, durch das die Wabe fließt. Das Tal und seine Hänge dienten Menschen lang als Rückzugsort in unsicheren Zeiten, wovon heute noch Wälle im Wald zeugen.
Angemerkt sei, dass die Talhänge im Bild niedriger als in natura wirken. Das könnte damit zusammenhängen, dass die Kamera in Weitwinkeleinstellung einen größere Bildwinkel als das menschliche Auge erfasst, also auch mehr Himmel und mehr Gras im Vordergrund. Nimmt man bei der Betrachtung instinktiv den geringeren Normalwinkel an, erscheint alles im Bild kleiner oder entfernter als vor Ort.
Wenn Mathies oder ich uns interessiert einem Objekt zuwendeten, wollte auch Migo wissen, was es da Spannendes zu sehen gibt. Auf diese Weise boykottierte er manches Foto, beispielsweise als er in einen kleinen Tümpel mit Molchen stieg und dabei den Grund aufwirbelte. Mir gelang gerade noch eine verwackelte Distanzaufnahme, bevor die Schwebeteilchenwolke das Wasser trübte.
Im Reitlingstal soll es einst eine Wasserburg gegeben haben. Diese existiert nicht mehr, auch kein Dorf. Für ein traditionelles Leben von der Landwirtschaft mag das Tal für eine größere Dorfgemeinschaft zu klein und sumpfig gewesen sein.
Für ein Vorwerk aber reichte es und in den auch heute noch vorhandenen Teichen wurden Karpfen gezüchtet. Pferde und urige Rinder grasen auf den Wiesen um den Weidehof. Am natürlich nördlichen Südhang des Tals gibt es eine Ausflugsgaststätte.
Man muss nicht das Eilumer Horn erklimmen, um ins Reitlingstal zu gelangen. Von Erkerode führt eine Straße in den Talkessel, über die der Reisebus gekommen sein mag, der an der Gaststätte Reitling eine Seniorengruppe absetzte, als wir das Gasthaus passierten.
Wir verließen den Talkessel in Richtung der Sendeanlage auf dem Drachenberg und gelangten noch einmal auf über dreihundert Meter über dem Meeresspiegel. Fortan ging es nur noch bergab, zumeist unter Buchen.
Der ganze Elm ist Landschaftsschutzgebiet und Teil des Naturparks Elm-Lappwald. Der forstwirtschaftlichen Nutzung tut das keinen Abbruch, wobei Rotbuchen, deren junge Blätter im Sonnenlicht des Mai so schön hellgrün leuchten, die dominante und gern genutzte Baumart sind.
Neben den Bäumen ist das Wasser ein natürlicher Schatz des Elms. Durch das Kalkgestein gefiltert tritt es an der Karstquelle der Lutter in Trinkwasserqualität an die Oberfläche – und dies reichlich: etwa zwanzig Millionen Liter pro Tag. Ein Teil des Wassers der ausgebauten Hauptquelle wird ins Versorgungsnetz der Stadt Königslutter am Elm abgezweigt. Daneben gibt es noch natürliche Quelltöpfe.
Wegen der Trinkwasserentnahme ist die Hauptquelle nicht zugänglich, doch kurz darauf konnte ich geleerte Flaschen wieder füllen. Sich vor einer Wanderung mit dem Vorhandensein von Wasserquellen zu beschäftigen lohnt, weil es ermöglicht mit leichterem Gepäck unterwegs zu sein.
An der Lutter entlang und über sie hinweg gelangten wir auf das Gelände des Psychiatriezentrums Königslutter der Arbeiterwohlfahrt. Die Klinik ist allerdings viel älter als ihr Träger. 1865 entstand sie als Herzoglich Braunschweigische Heil- und Pflegeanstalt – damals war auch der Begriff Irrenanstalt gebräuchlich – auf dem ehemaligen Klostergelände.
Bereits unter ihrem ersten Direktor Hasse verfolgte man in der Anstalt eine Philosophie der offenen Türen und suchte auf Zwangsmaßnahmen zu verzichten, was im 19. Jahrhundert noch nicht allgemein üblich war. Eine dunkle Zeit für die Einrichtung kam hingegen mit dem Nationalsozialismus, in dessen Ideologie psychisch Kranke keinen Platz hatten. Königslutter war Zwischenstation für Patienten, die anderenorts ermordet wurden.
An der mächtigen Kaiser-Lothar-Linde vorbei, die 1135 mit dem Baubeginn des Kaiserdomes gepflanzt worden sein soll, richteten wir unsere Schritte zu dem bedeutenden romanischen Dom. In ihm liegt neben anderen der Auftraggeber, Lothar III., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches begraben.
Als der erste Spatenstich für den Dombau gesetzt wurde, hieß die Ortschaft zu seinem Fuße noch nicht „Königslutter“, sondern wie der Fluss „Lutter“. Der königliche Zusatz bezieht sich auf Lothar III., der bis zur Kaiserkrönung „nur“ König des Reiches war, und verfestigte sich erst einige Hundert Jahre nach seinem Tod.
Heute trägt die Stadt den Namen „Königslutter am Elm“ – „am Elm“ wurde vermutlich im frühen 20. Jahrhundert ergänzt. Wie wird die Stadt in 1000 Jahren heißen? Wird ihr Name dann noch in einen Briefkopf passen?
Fazit: Ist der Elm eine Reise wert? Ja! Das Wandern im Buchenwald ist angenehm; die Steigungen können auch Flachländer sehr gut bewältigen, wobei auf feuchtem Boden Achtsamkeit geboten ist. Wer weniger wandern und mehr Historie möchte, findet in Königslutter und Schöppenstedt museale Angebote.
Für einen Hauch von Bitterkeit sorgten bei mir nur die Fahrpreise von Regionalbahn und -Express. Für 120 Kilometer Luftlinienentfernung von Perleberg zum Elm bezahlte ich hin und zurück für Migo und mich 82,55 Euro. Dies auch erst nach Detailrecherche bei den durchfahrenen Verkehrsverbünden – laut Angaben bei der Verbindungssuche der Deutschen Bahn wären sogar 100,95 Euro zusammengekommen.
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Wer herausfinden möchte, wie es wirklich™ war, findet in Mathies’ Gastbeitrag einen weiteren und unabhängigen Bericht von dieser Wanderung: https://prlbr.de/2014/elmwanderung/