Durch den Elm
Teil 1: Von Schöppenstedt zum Eilumer Horn

Deutsches Eck in Schöppenstedt

Als ich am Vormittag des 15. Mai aus einem Regionalzug kletterte, betrat ich in Schöppenstedt niedersächsischen Boden. Die kleine Stadt zwischen Asse und Elm ist heutzutage eine eisenbahnerische Sackgasse, sodass ich gar nicht hätte weiter fahren können. Zur Jahrtausendwende rollten Schienenfahrzeuge mit Reisenden noch weiter nach Helmstedt.

Rathaus und Kirche St. Stephanus in Schöppenstedt

Warum Schöppenstedt? Einige Monate zuvor saß ich vor einer topografischen Landkarte mit dem Blick aufs heimische Perleberg im grün gefärbten Flachland und schaute, wo ein möglichst naher nennenswerter gelber Fleck höheres Gelände markiert. So entdeckte ich den Elm und fasste den Plan, ihn einmal zu durchqueren. Ein guter Ausgangspunkt für fleißige Wanderer: Schöppenstedt.

Straßenbäume

In dieses Abenteuer stürzte ich mich allerdings nicht allein. Bar jeglichen Zufalls waren auf hundert Metern über dem Meeresspiegel auch Mathies aus Bremen und mein vierbeiniger Freund Migo aus erwähntem Regionalzug gestiegen. Unsere Schritte richteten wir nach Norden am Amplebener Bach entlang.

Elmblick

Könnte man durch die brasilianische Flagge wandern, müsste sich das anfühlen wie das Land südlich des Elms im Mai. Wir gingen unter blauem Himmel zwischen Feldern mit grünem Getreide im Wechsel mit strahlend gelb blühendem Raps.

Elmbergschnecke mit Reiter

Elmbergschnecken – man möge mir die Bezeichnung mangels Weinreben vor Ort nachsehen – trafen wir an diesem Tag viele. Das hier porträtierte Exemplar zog sich vor uns zunächst zurück. Als wir bewegungslos verharrten, streckte das Tier ein Auge gerade wieder aus, als es knips machte.

Elmpanorama mit Ampleben links und Kneitlingen mittig

Unsere Route führte durch die beiden benachbarten Ortschaften Kneitlingen und Ampleben. Sie liegen am Elmhang auf heute etwa 170 Metern über dem Meeresspiegel. Ich schreibe „heute“, weil der Elm hauptsächlich aus Kalkstein besteht, der vor 240 Millionen Jahren am Grund eines flachen Meeres entstand.

Turmuhr der Kirche St. Nicolai in Kneitlingen

Den Kalkstein des Elms verwendete man in der Region zum Bauen. Alle Kirchen, die wir an diesem Tag passierten, errichtete man aus diesem Material. Der Ruhm des Elmkalksteins reicht aber über die nähere Umgebung hinaus. So fertigten Steinmetze im anbrechenden 15. Jahrhundert den als Weltkulturerbe geschützten Bremer Roland aus Elmkalkstein.

Nicht der Bremer Roland

Vor zweihundertvierzig Millionen Jahren … fünfzehntes Jahrhundert … Das sind doch olle Kammellen! Ist seitdem nichts Neues in Kneitlingen passiert? – Doch, gewiss! Aber lassen Sie mich stattdessen eine weitere alte Geschichte hervorkramen: Im Jahr 1300 soll genau hier Till Eulenspiegel geboren worden sein.

Teich in Kneitlingen

Im Nachbardorf Ampleben wurde der geistreiche Schalk und Wanderer der Legende nach getauft. Dass Till Eulenspiegel im Süden des Elms noch dieser Tage eine wichtige Rolle spielt, kann man von den Wegweisern am Deutschen Haus in Schöppenstedt (Foto ganz oben) ableiten.

Harzblick mit Brocken

Wendet man auf dem Weg von Kneitlingen nach Ampleben den Blick nach links, sieht man durch den Dunst von 43 Kilometern Luft im Süden den Brocken im Harz. Näher liegt nur knapp acht Kilometer südwestlich von Ampleben der kleine, bewaldete Höhenzug Asse, unter dem sich ein berüchtigtes Lager für radioaktive Abfälle befindet.

An der Kirche in Ampleben

Der strahlende Müll wurde in einen Salzstock eingelagert. Das Salz ist mit etwa 255 Millionen Jahren noch älter als der Elmkalkstein. Es liegt in ganz Norddeutschland oft mehrere Kilometer unter der Erdoberfläche, dringt aber an einigen Stellen als Salzstock nach oben. Auch der Elm verdankt aus der Tiefe aufsteigendem Salz seine gehobene Lage.

Herrenhaus in Ampleben

Ampleben ist ein alter Rittersitz. Im Spätmittelalter verdiente mancher Ritter sein Brot durch Raubzüge, was bei den Zeitgenossen nicht dieselben romantischen Gefühle ausgelöst haben dürfte, mit denen die Zeit der Ritter heute oft betrachtet wird.

Wand

Wurde Stadtbürgern, deren Wohlstand sich auf Handel gründete, das Treiben der ländlichen Feudalherren zu bunt, konnten auch sie mit Söldnern ausziehen und einen Rittersitz dem Bodenniveau angleichen. So geschah es in Ampleben in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Ein Gedicht über einen ähnlichen Vorfall in der Prignitz findet sich in der Perleberger Reimchronik.

Aufstieg

Oberhalb von Ampleben schritten Mathies, Migo und ich noch ein Stück am Waldsaum entlang, bevor wir in Richtung Eilumer Horn in den Forst bogen. Das Eilumer Horn ist die höchste Erhebung des Elms. „Elm“ benennt übrigens nicht nur den Höhenzug, sondern auch den Wald, der ihn bedeckt. So kann man gleichermaßen von einer Überquerung und Durchquerung sprechen.

Hufabdruck

Für den Aufstieg wählten wir keinen befestigten Weg, sondern einen schmalen Pfad. Die Konsistenz des Bodens unter dem Buchenlaub lässt sich anhand des Fotos eines Hufabdrucks ganz gut abschätzen: nicht pampig, denn der Abdruck ist gut erhalten, aber weich, denn der Huf sank recht tief ein, und schmierig. Schmierigkeit und Weichheit bestätigten sich empirisch, als ich ausrutschte und schmerzfrei landete.

Wandergeselle Migo

Noch nicht am Eilumer Horn, aber auf über dreihundert Metern über dem Meeresspiegel angekommen, wird es wieder flach. Während der zurückliegenden 2,6 Millionen Jahre vereiste Norddeutschland mehrmals. Gletscher schoben sich über den Elm und schliffen ihn ab, sodass er wie ein mit dem Messer gekapptes, halb vergrabenes Ei daliegt und an der Schnittfläche verschiedene geologische Schichten zu Tage treten.

Buchenblätter

An einer Wegkreuzung nahe dem Eilumer Horn legten wir auf einer Bank unter frischem Buchengrün eine Verpflegungs- und Ruhepause ein. Sehen und lesen Sie im zweiten und letzten Teil, wie es weiter durch den Elm nach Königslutter geht.

Kommentare

  1. Wie spannend auch dieser Bericht!

    - Deutsches Eck in Schöppenstedt: Wieso auch ein weiterer Bahnverkehr? Es ist doch schon schön zu sehen, wie unser heimatlicher Multicar auch durch die ach so alten Bundesländer rollt. Eines der Produkte, die sich durchsetzen konnten. Durften.

    - Straßenbäume hinter Schöpp.: Es drängen sich Vergleiche mit unseren prächtigen brandenburgischen chausseeüberkronenden Alleebäumen auf ... aber was nicht ist, kann ja noch werden. Und außerdem: Auch solch eine dürre Markierung kann ja für die Fuhrwerkslenker zur schneeigen Winterzeit schon eine angenehme Orientierungshilfe sein.

    - Der Blick über den Elm: Mann, is' da der Himmel aber hoch. Habt Ihr bei der langen Wanderung auch das berühmte, hier beheimatete Elmsfeuer gesehen oder kommt dazu sowieso ein Bildungshinweis im zweiten Teil?

    - Schnecke: Viele Geschichten ranken sich um das Einhorn. Jenes hier nun auch noch mit einem Periskop ausgestattet – die Mutter Natur ist wunderbar.

    - Buchenblätter: Ach, und aus solchen wird dann das Buch gemacht?

    Schönen Dank für das Geschenk dieser herrlich gestalteten Aufnahmen,
    sagt Chris

  2. @1 Danke auch für die schelmischen Anmerkungen, Chris.

    Genau der Multicar war mir auch ins Auge gefallen, daher das Foto eben so und nicht mehr Deutsches Haus. „WF“ im Kennzeichen steht übrigens für den Landkreis Wolfenbüttel, in welchem Schöppenstedt liegt.

    Es ist schön, dass sich die Landschaften unterscheiden. Gäbe es überall in Niedersachsen brandenburgische Alleen, würden außerdem die dann fälligen Mautzahlungen nach Potsdam vermutlich für Verdruss bei den Niedersachsen sorgen.

    Zum hohen Himmel über dem Elm: Wenn das mal keine Anspielung darauf ist, dass der Elm auf dem Foto ziemlich klein aussieht. Das täuscht allerdings etwas, denn ein Stück der Erhebung hatten wir schon erklommen und ich fotografierte aufwärts. Selbst der steilere Everest sieht nicht wahnsinnig riesig aus, wenn man keine 200 Meter unterhalb des Gipfels die Kamera zückt und nach oben knipst. Von der Asse aus betrachtet würde sich der Höhenzug sicherlich stärker abzeichnen – der Höhenzug Elm, nicht der Everest.

    Wikipedia meint, das Elmsfeuer habe mit der Geografie des nördlichen Harzvorlandes weniger zu tun als mit der Biografie Erasmus’ von Antiochia, dem Patron der Bauchschmerzgeplagten.

    Im Zusammenhang mit Weinbergschnecken bitte ich darum, von der wundervollen Zwitter Natur zu sprechen.

    Es gibt Hinweise, dass Buchen und Bücher die gleiche sprachliche Wurzel besitzen, so im Wörterbuch der Grimms. Andere Etymologen mögen abweichender Auffassung sein. Dass Buchenholz tatsächlich auch bei der Papierherstellung verwendet wird, hat mit der gemeinsamen Schreibweise allerdings nichts zu tun,

    meint Martin

  3. Ich komme aus Braunschweig, habe zwei Jahre im Artland (Nordkreis Osna(brück)) gelebt und bin dann an den Südelm gezogen. Die Gegend ist wunderschön allerdings Alleen sind hier überhaupt nicht vergleichbar mit denen im Raum OS. Dort gibt es auch die prächtigsten Eichen. Aber der Elm ist wunderschön und der Blick gen Harz malerisch.