18. Ein crimen laesae majestatis in P. 1417.
„Wir sehn, wie immer mehr im Reich
Nach röm’schen Recht man richtet;
Das Sachsenrecht wird Streich um Streich
Beseitigt und zernichtet.
Da scheint es uns Nothwendigkeit,
Daß Perleberg bei guter Zeit
Sich schafft ein corpus juris.“ —
Sie legten sechs Mark Silbers an,
Und kauften die Folianten;
An’s Studium traten frisch heran
Der Rath, die Rathsverwandten,
Und sie studirten gar so sehr,
Und fanden, daß das Schlimmste wär’
Ein Majestätsverbrechen.
Da eine böse Handlung soll
Vor bösen Thaten schrecken,
So wünschten unsre Herren wohl,
Solch crimen zu entdecken.
Doch Jobst war damals Herr im Land,
Hat’s ausgesogen als sein Pfand,
Der war nicht zu verletzen.
Und über eine Weile kam
Der Hohenzoller Friedrich;
Als der der Mark den Alpdruck nahm,
Da jauchzte Hoch und Niedrig.
Und bei der tiefen Freud’ im Land
Ward wiederum kein Fall bekannt
Von Majestätsverbrechen.
Was man sich einmal vorgesetzt,
Man will’s durchaus erringen!
Drum dacht’ der Rath auch bis zuletzt:
Es soll uns doch gelingen,
Und sprach: „Ihr Wächter, gebet Acht,
Ob Jemand bös und unbedacht
Von unserm Fürsten rede.“
Und sieh, es kam ein Bäuerlein
Zur Stadt mit seinem Knaben,
Und ging zu einer Schenke ein,
Am Broyhan sich zu laben.
Der Broyhan nicht gerathen war,
Er schmeckte schal und sah nicht klar,
Deß ward der Bauer böse.
Vom schlechten Biere kam er bald
Auf schlechte Zeit zu sprechen,
Und wie die Großen mit Gewalt
Der Kleinen Hälse brechen.
So blieb er sitzen auf der Bank
Trotz schlechten Broyhans, sprach und trank
Noch eine gute Weile.
So kam auf Friedrich er, o weh!
Der sollte auch nicht taugen:
„Dieweil nicht hacket eine Kräh
Der andern in die Augen.“ — —
Das Wort war kaum dem Mund entflohn,
Da packte Perleberg ihn schon
Ums Majestätsverbrechen.
Nun saß im Stock er auf dem Schloß
Und rief und schrie: „Erbarmen!
O Perleberger, laßt mich los!
O Gnade nur mir Armen!
Der Broyhan, Herrn, ist Schuld daran,
Sonst hätt’ ich nimmer das gethan!
Der liebe, liebe Friedrich!“ —
Da sprach zu Perleberg der Rath:
„Für jetzt soll Gnade walten;
Doch schwör Uns, daß in Wort und That
Du stets wirst Frieden halten.
Weil sie ein corpus juris hat,
So duldet ferner Unsre Stadt
Kein Majestätsverbrechen.“ —
(Das Sachsenrecht bestand und galt ursprünglich in Niederdeutschland; nach und nach wurde es durch das römische Recht verdrängt. — Der Perleberger Rath kaufte ein corpus juris 1408 von dem Geistlichen Pape Otto zu Havelberg, um sich mit dem römischen Recht bekannt zu machen; doch richtete er nachher noch nach dem Sachsenrecht, denn wir erfahren, daß die Bürger 1557 darauf drangen, er solle „gerichtliche Prozesse auf Kaiserrecht reformiren und den Sachsen fallen lassen.“ — Das erzählte Majestätsverbrechen beging Hans Cratz aus Blüthen. — Broyhan hieß das in P. gebraute Bier.)