Herleitung zum goldenen Schnitt

Diese Seite zeigt, dass sich der goldene Schnitt durch die Zahl $\phi=\frac{1+\sqrt{5}}{2}$ angeben lässt. Wir werden außerdem sehen, dass die Zahl die einfachste Kettenbruchdarstellung unter den irrationalen Zahlen besitzt.

Zwei positive Werte $a$ und $b$ stehen laut Definition im Verhältnis des goldenen Schnitts zueinander, wenn sich der Größere zum Kleineren verhält wie die Summe beider zum Größeren:

$$\frac{a}{b}=\frac{a+b}{a}$$
(1)
Abbildung: Die Seitenverhältnisse $\frac{a}{b}$ des kleinen Teilrechtecks rechts und $\frac{a+b}{a}$ des kompletten gelben Rechtecks sind in diesem Bild gleich – es sind „goldene Rechtecke“.

Um einen Zahlenwert für dieses besondere Verhältnis zu finden, kann man zunächst den Bruch auf der rechten Seite auseinanderziehen:

$$\frac{a}{b}=\frac{a}{a}+\frac{b}{a}$$
(2)

Nun kann man $\frac{a}{a}$ zu eins kürzen. Bezeichnet man außerdem das gesuchte Verhältnis $\frac{a}{b}$ mit $\phi$, erhält man:

$$\phi=1+\frac{1}{\phi}$$
(3)

Auf diese Gleichung werden wir später noch einmal zurückkommen. Zunächst aber werden beide Seiten der Gleichung mit $\phi$ multipliziert, um die Unbekannte unter dem Bruchstrich hervorzuholen. Das ergibt:

$$\phi^2=\phi+1$$
(4)

Diese quadratische Gleichung ließe sich mit einer vorgefertigten Formel wie der „Mitternachtsformel“ beziehungsweise der p-q-Formel lösen. Ich möchte hier jedoch zeigen, wie man mit einfacheren Werkzeugen vorgehen kann. Dazu wird auf beiden Seiten $-\phi+\frac{1}{4}$ hinzugefügt. Das ergibt:

$$\phi^2-\phi+\frac{1}{4}=\frac{5}{4}$$
(5)

Durch diesen Schritt erreicht man Zweierlei: Alle $\phi$ stehen auf der linken Seite und die linke Seite lässt sich mit der zweiten binomischen Formel als Quadrat schreiben:

$$\left(\phi-\frac{1}{2}\right)^2=\frac{5}{4}$$
(6)

Man braucht die zweite binomische Formel nicht im Kopf zu haben, sondern kann $\left(\phi-\frac{1}{2}\right)^2$ ausmultiplizieren und wieder $\phi^2-\phi+\frac{1}{4}$ erhalten, um sich von der Richtigkeit jenes Schritts zu überzeugen. Ich hätte übrigens auch $\left(\frac{1}{2}-\phi\right)^2$ schreiben können, denn dies ergibt ausmultipliziert dasselbe. Beide Möglichkeiten werden mit einer Fallunterscheidung berücksichtigt, wenn nun aus beiden Seiten der Gleichung die Quadratwurzel gezogen wird. Ergebnis:

$$\begin{aligned} \textrm{Fall 1:}&& \phi_1-\frac{1}{2} &=\sqrt{\frac{5}{4}} \\ \textrm{Fall 2:}&& \frac{1}{2}-\phi_2 &=\sqrt{\frac{5}{4}} \end{aligned}$$
(7)

Multipliziert man als Nächstes im zweiten Fall beidseitig mit $-1$ und berechnet in beiden Fällen unter dem Bruchstrich die Quadratwurzel, erhält man:

$$\begin{aligned} \textrm{Fall 1:}&& \phi_1-\frac{1}{2} &=\frac{\sqrt{5}}{2} \\ \textrm{Fall 2:}&& \phi_2-\frac{1}{2} &=-\frac{\sqrt{5}}{2} \end{aligned}$$
(8)

Nun fehlt zur Lösung nur noch die Addition von $\frac{1}{2}$ beiderseits der Gleichheitszeichen:

$$\begin{aligned} \textrm{Fall 1:}&& \phi_1 &=\frac{1}{2}+\frac{\sqrt{5}}{2} \\ \textrm{Fall 2:}&& \phi_2 &=\frac{1}{2}-\frac{\sqrt{5}}{2} \end{aligned}$$
(9)

Die zweite Lösung ergibt eine negative Zahl −0,61803…. Dies kann kein Verhältnis zweier positiver Größen ausdrücken, sodass für den goldenen Schnitt nur die Lösung 1,61803… aus dem ersten Fall bleibt – auf einen Bruchstrich gebracht:

$$\phi=\frac{1+\sqrt{5}}{2}$$
(10)

Kettenbruchdarstellung

Schauen wir uns noch einmal Gleichung 3 an:

$$\phi=1+\frac{1}{\phi}$$

Sie besagt offensichtlich, dass $\phi$ das Gleiche wie $1+\frac{1}{\phi}$ ist. Dann kann man auch auf der rechten Seite $1+\frac{1}{\phi}$ für $\phi$ einsetzen und erhält:

$$\phi=1+\cfrac{1}{1+\cfrac{1}{\phi}}$$
(11)

Dieser Vorgang lässt sich wiederholen, was einen unendlichen Kettenbruch ergibt:

$$\phi=1+\cfrac{1}{1+\cfrac{1}{1+\cfrac{1}{\ddots}}}$$
(12)

Jede reelle Zahl lässt sich durch so einen regulären Kettenbruch mit Einsen über dem Bruchstrich und ganzen Zahlen vor den Pluszeichen darstellen. Bei rationalen Zahlen ist jener Kettenbruch endlich, bei irrationalen Zahlen unendlich. Der goldene Schnitt besitzt die einfachste Kettenbruchdarstellung aller irrationalen Zahlen, da bei ihm, wie wir gesehen haben, auch die Summanden vor dem Pluszeichen allesamt Einsen sind.