55. Gewerksprivilegia.
Allmählig rafft der Bürgerstand
Sich auf aus seinen Träumen;
Des Beutels Wucht und Fülle schwand,
Er darf nicht länger säumen.
Doch sieht er nicht die Ursach nah
In seiner Laster Ketten;
Er sucht durch Privilegia
Vom Jammer sich zu retten.
Der Kleinschmied und der Schlosser schaut
Ergrimmt auf den Kollegen,
Der sich im Dörfchen angebaut
Und fleht um Arbeitssegen.
Der Schneider ist des Kürschners Feind
Und flucht dem Kleiderhandel.
„Hausirer, der am Markt erscheint,
Zerstört Verkehr und Wandel!“ —
„Der Schuster wähnt, daß seine Noth
Die Pfuscher ihm entfachen;
Dorfküster nähmen ihm das Brot,
Da sie Pantoffeln machen. (!)
Der Färber meint, er würde reich,
Wenn nicht nur im Geschäfte,
Wenn er zu allen Diensten gleich
Gebrauch’ des Lehrlings Kräfte.
Der Krämer will kein wendisch Blut
In seiner Gilde leiden,
Und der Hausirer große Fluth
Vom Handel gänzlich scheiden. —
Wohl giebt der Churfürst willig nach
Und stillt ihr brünstig Bitten,
Doch näher kommt von Tag zu Tag
Die Noth mit raschen Schritten.
„Hu! Kriegesgelder! und dazu
Noch Vieh- und Scheffelsteuer,
Servisgeld, Pathenpfennig! hu,
Wie ist das Leben theuer!
Wie bitterbös ist diese Zeit!
Wer weiß sich noch zu rathen!“ — —
Der Rath verzeichnet Seit’ um Seit’
Im Stadtbuch Retardaten.
(Die erneuten und verstärkten Privilegia sind ausgestellt von 1618—1631. — Man darf übrigens nicht annehmen, daß die Mittel den Bürgern schon jetzt vollständig fehlten, wenn es ihren Klagen nach auch so scheint. Die Leute hüteten sich damals mehr als wir vor der ersten Ausgabe, glaubten auch durch stetes Jammern zu erreichen, daß ihnen nicht zu schwere Lasten aufgepackt wurden.)