Demografie der Blechkuchenstücke
Fragen und Antworten zu einem kulinarischen Rand- und Mittelthema

Schnell lässt sich ein Blechkuchen in gleich große, rechteckige Stücke schneiden. Doch gleich groß heißt nicht identisch. Stücke von der Peripherie des Bleches unterscheiden sich von Mittelstücken: Randstücke besitzen Kuchenboden nicht nur auf der Unterseite, sondern auch an mindestens einer, Eckstücke an zwei Kanten.

Abbildung: Blechkuchen, geschnitten, dreier Stücke beraubt

Im Angesicht dieser Vielfalt drängen sich Appetit und Fragen nach der Anzahl der Kuchenstücke eines jeden Typs auf. Wie viele Eckstücke gibt es? Wie muss man einen Blechkuchen schneiden, wenn man ebenso viele Mittel- wie Randstücke möchte? Auf dieser Seite findest Du jene und weitere wichtige Fragen beantwortet, die sich Freunde des Backwesens und Gaumenschmauses tagtäglich stellen.

Zahl der Schnitte: a und b

Einen Blechkuchen schneidet man mittels einer gewissen Anzahl paralleler Schnitte in einer Richtung und einer Anzahl von dazu rechtwinklig ausgeführten Schnitten in anderer Richtung. Die Zahl der einen nennen wir a, die der anderen b. In der Abbildung wäre beispielsweise a = 4 und b = 3 oder aber a = 3 und b = 4, je nachdem wo zuerst geschnitten wurde. Letztendlich ist das egal, es ändert die Stückzahlen nicht.

Weil es um Blechkuchen und nicht um Berliner Pfannkuchen oder Wiener Apfelstrudel geht, schneiden wir mindestens einmal in jeder Richtung, sodass a und b stets größer oder gleich 1 sind.

Fragen und Antworten

Wie viele Stücke hat mein Kuchen?

Dein Kuchen hat (a + 1)(b + 1) Stücke. Ausmultipliziert sieht das so aus: ab + a + b + 1. Diese Zahl ist sehr wichtig: Wer Gäste zum Kuchenessen empfängt, sollte mindestens ein Kuchenstück mehr parat als Gäste geladen haben.

Wie viele Eckstücke hat mein Kuchen?

Ordentliche Blechkuchen sind rechteckig und Rechtecke nichts anderes als rechtwinklige Vierecke. Die Antwort lautet also vier, in Ziffern 4.

Wie teile ich meinen Kuchen, um nur Eckstücke zu erhalten?

Mit zwei zueinander rechtwinkligen Schnitten (a = 1, b = 1) erhältst Du vier Eckstücke und sonst weiter nichts.

Sind Eckstücke auch Randstücke?

Ja.

Wie viele Mittelstücke hat mein Kuchen?

Dein Kuchen hat (a − 1)(b − 1) Mittelstücke. Ausmultipliziert sieht das so aus: ab − a − b + 1.

Sind Mittelstücke auch Randstücke?

Nö.

Wie viele Randstücke hat mein Kuchen?

Randstücke sind vermutlich die spannendsten Kuchenstücke überhaupt. Schon immer waren es die neugierigsten und mutigsten Zeitgenossen (oder solche mit schlechtem Orientierungssinn), die es an die Ränder unseres Wissens, den Rand der Erdscheibe oder die Ränder eines Blechkuchens zog. Viele Wege führen an jenen Rand, denn man findet ihn ringsherum, aber da wir bereits die Zahl der Kuchenstücke insgesamt und die der Mittelstücke kennen, mag der leichteste Weg sein, die Randstückzahl als Kuchenstücke minus Mittelstücke zu berechnen. Ergebnis: 2a + 2b.

Wie teile ich meinen Kuchen, um nur Randstücke zu erhalten?

Wenn Du in eine Richtung nur einen Schnitt machst (a = 1 oder b = 1), erhältst Du nur Randstücke, egal wie viele Schnitte Du im rechten Winkel dazu setzt.

Ich will gleich viele Rand- und Mittelstücke. Wie muss ich schneiden?

Eine famose Frage! Um sie zu beantworten, werden wir etwas Mathematik wagen. Lass uns damit beginnen, die Anzahl der Randstücke und Mittelstücke gleichzusetzen:

2a + 2b = ab − a − b + 1

Eine Gleichung und zwei Unbekannte? Ganz einfach klingt das nicht. (Apropos „ganz“ – Bäckermeister sprechen hier von einer diophantischen Gleichung, da wir nur ganzzahlige Lösungen suchen. Das kleine Wörtchen „nur“ sollte dabei nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Manche der berühmtesten Probleme der Konditoreigeschichte verdanken ihre Schwierigkeit just der Beschränkung auf ganze Zahlen.) Doch statt zu verzagen, subtrahieren wir auf beiden Seiten der Gleichung 2a + 2b und fügen 8 hinzu:

8 = ab − 3a − 3b + 9

Die Addition der 8 mag auf den ersten Blick willkürlich wirken, doch sie ermöglicht im nächsten Schritt das elegante Ausklammern auf der rechten Seite:

8 = (a − 3)(b − 3)

Das sagt uns, dass 8 das Produkt zweier Faktoren ist – und zwar ganzzahliger Faktoren, weil die Differenz zweier ganzer Zahlen wie a und 3 ebenfalls eine ganze Zahl sein muss. Es gibt acht Möglichkeiten, eine 8 in zwei ganzzahlige Faktoren zu zerlegen:

  1. 8 = 4 · 2
  2. 8 = 2 · 4
  3. 8 = 8 · 1
  4. 8 = 1 · 8
  5. 8 = (−4)(−2)
  6. 8 = (−2)(−4)
  7. 8 = (−8)(−1)
  8. 8 = (−1)(−8)

Im ersten Fall ist der erste Faktor 4 und somit a₁ − 3 = 4. Der zweite Faktor ist 2 und somit b₁ − 3 = 2. Diese Minigleichungen sind schnell gelöst: a₁ = 7, b₁ = 5. Im zweiten Fall sind die Zahlen vertauscht: a₂ = 5, b₂ = 7.

Im dritten Fall ist der erste Faktor 8, der zweite 1, was die Gleichungen a₃ − 3 = 8 und b₃ − 3 = 1 bringt. Ergebnis: a₃ = 11, b₃ = 4. Im vierten Fall sind diese Zahlen vertauscht: a₄ = 4, b₄ = 11.

Wenn Du gleichermaßen die weiteren Fälle untersuchst, wirst Du feststellen, dass dort für a oder b negative Werte herauskommen. Eine negative Zahl von Schnitten gibt es aber nicht. So bleibt es bei der Lösung von 7 Schnitten in einer Richtung und 5 in der anderen, was je 24 Mittel- und Randstücke kreiert, und der Lösung von 11 Schnitten in einer Richtung und 4 in der anderen mit jeweils 30 Rand- und Mittelstücken.

Ich will mehr Mittel- als Randstücke. Wie oft muss ich schneiden?

Mindestens zwölf Mal: Mit a = 6 und b = 6 sind von 49 Kuchenstücken 25 Mittel- und 24 Randstücke.

Kann man einen Blechkuchen auch in kreisförmige Stücke schneiden?

Nein. Im Übrigen ist der Versuch gefährlich. Menschen verlieren bei diesem aussichtslosen Unterfangen häufig Finger.

Eck-, Rand-, Mittel- und Kuchenstücke insgesamt: Ich will nur Quadratzahlen!

Das ist zwar keine Frage, aber möglich. Perfekte Quadratzahlkuchen erhältst Du immer, wenn Du in beiden Richtungen gleich oft schneidest (a = b) und die Zahl der Schnitte pro Richtung eine Quadratzahl ist. Die vermutlich berühmteste Variante nutzt zweimal vier Schnitte: a = 4, b = 4. Das ergibt 5² Kuchenstücke, darunter 3² Mittelstücke und 4² Randstücke, von denen 2² Eckstücke sind. Falls die antiken Pythagoräer Blechkuchen geschnitten haben, dann so.


Hast Du eine andere Frage zum Schneiden von Blechkuchen oder möchtest vermerken, wie lecker der von Ellen liebevoll gebackene und gekonnt geschnittene Rhabarberstreuselquarkblechkuchen auf dem Foto aussieht? Dann nutze die Kommentarfunktion. Möchtest Du lieber mehr über andere geschnittene Backwaren erfahren? So werfe einen Blick auf meine Abhandlung zur Anzahl der Kanten eines konventionell zerteilten Brotlaibes.

Kommentare

  1. Soviele Fragen, soviele Antworten (die zum Teil auch noch ziemlich binomisch aussehen)!
    Der Kuchen sieht auf jeden Fall lecker aus!
    :-)

  2. Danke @1, ich werde es der Kuchenbäckerin ausrichten. Im Übrigen kann ich Deinen visuellen Eindruck geschmacklich bestätigen.

    Wie groß der Anteil einer Konditorausbildung wohl ist, der sich mit Binomen beschäftigt? In Anbetracht ihrer Rolle beim Blechkuchenschneiden mutmaßlich ziemlich groß. Bestimmt können Zuckerbäckerlehrlinge spätestens am Ende des ersten Lehrjahres auch nachts frisch aus dem Traum gerissen jederzeit eine beliebige der ersten hundert Zeilen des Pascal’schen Dreiecks aufsagen. Das Konditoreiwesen ist eben eine ganz besondere Profession, meint

    Martin

  3. Wie schön das doch alles dargelegt wurde. So recht hochpädagogisch in die Tiefe gehend. Unser Mathelehrer hat aber immer virtuelle Rundtortenstücke (Krem ohne Rababa) genutzt, um das Vorstellungsvermögen der Schüler mit praxisnahen Beispielen zu löcken. Dabei ging aber kein Pfinger flöten.
    Na klar, muss es in der Darlegung auch bionomisch einher gehen. Ist ja schließlich kein Plastic-Kuchen.
    Bestand der leckere Eindruck auch bei euch noch nach dieser Lecktion?

    Anonymus

  4. Making everything more difficult, we'll take a roundish cake; that is shaped like a ball. Do we make of it?

    We could firstly take the surface and the thickness is the radius r, or the diameter d/2. So we've got another ideal cake to eat, haven't we?

    Btw: (a+b)^2 = a^2+ab+b^2. One binomial rule. In this case (4a+11b)^2 = 4a^2+15ab+11b^2 to get the very same number of middle pieces and outter pieces.

    Meanwhile the delicious bakery has been cold :P

  5. Ah, die Vorliebe für rundliche Kuchen scheint weit verbreitet zu sein. Eine gute Nachricht: Mathematiker beschäftigen sich auch mit Schnitttaktiken für eure kulinarische Träume! Ein englischsprachiges Video zum günstigen Schneiden klassischer Geburtstagstorten, das keine mathematischen Vorkenntnisse verlangt, findet sich hier: http://www.numberphile.com/videos/cake_cutting.html

    Einen kugelförmigen Kuchen habe ich noch nicht gesehen, aber gewiss lässt sich auch so etwas backen. Man läuft nur Gefahr, dass das köstliche Backwerk einem davonrollt, bevor man zum Schnitt ausholen kann, oder?

    Martin

    PS: (4a + 11b)^2 = 16a^2 + 88ab + 121b^2 ;-)

  6. Wenn ich einen Kuchen an die Wand schmeisse, faltet er sich dann ideal gemäss den Fibonacci-Zahlen?

  7. @6: Experientia est optima rerum magistra.

  8. Sag mal, würdest Du so liebt sein und aus Deinem Kuchen einen Mengerschwamm machen?

  9. "Dein Kuchen hat (a − 1)(b − 1) Mittelstücke. Ausmultipliziert sieht das so aus: ab − a − b + 1."

    (a-1)(b-1)
    ab-1b-b1+1
    ab-2b+1

    Der dritte binomische Satz

    "(a + 1)(b + 1) Stücke. Ausmultipliziert sieht das so aus: ab + a + b + 1."

    (a+1)(b+2)
    ab+1b+b1+1
    ab+2b+1

    Kein echter binomischer Satz. Könnte aber mit gleicher Seitenlänge a zu a^2, dann wäre es der erste binomische Satz.

  10. @8: Der abgebildete Kuchen wurde schon vor langer Zeit aufgegessen und hat sich irgendwo im Kreislauf der Natur verloren. Ich denke, dass wir seine Atome so bald nicht mehr zusammentragen können werden. Interessant erscheint mir die Überlegung, ob sie durch die Vorgänge in der Natur sich irgendwann quasi zufällig wieder in einem engen Umkreis versammlen könnten?! Ich vermute alerdings, dass jene Atome dazu neigen, sich über den Erdball zu verteilen.

    @9: Danke für den Hilfeversuch, aber ich hatte die Klammern schon richtig ausmultipliziert. Bei Dir hat sich der berüchtigte Fehlerteufel eingeschlichen.

    Martin

  11. Per E-Mail erhielt ich den Hinweis, dass die Frage nach der gleichen Zahl von Rand- und Mittelstücken von Blechkuchen als Rätsel der Woche auch schon bei Spiegel Online gestellt wurde: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/raetsel-der-woche-kuchen-schneiden-wie-ein-zahlengott-a-1008130.html

    Dem Rätsel dort liegt wiederum eine andere Quelle zugrunde. Auch höherdimensionale Fälle wurden vor mir betrachtet, wenn vielleicht auch nicht mit Kuchen im Hinterkopf, aber doch in äquivalenter Form. So fand Dr. Joel Haddley einige Jahre vor mir in einer umfangreicheren Arbeit – in welcher er auch auf ältere Beschäftigungen anderer Autoren mit dem Thema verweist – ebenfalls die unter https://prlbr.de/2015/rezept-fuers-kuchenschneiden/ dargestellte Folge als Lösung und notierte wie ich später unter https://prlbr.de/2015/hypercube-cutting-supremum-proof-attempt/ einen ähnlichen Beweisansatz dafür, dass es sich bei dieser um die in gewissem Sinne maximale handelt. Ebenso fand er alle Lösungen für bis zu fünf Dimensionen.

    Vielleicht war ich der erste, der auch die Lösungen für sechs Dimensionen ausrechnete bzw. den Computer ausrechnen ließ? Mein Programm dafür findet sich auf https://prlbr.de/2015/mehrdimensional-kuchen-schneiden/ .

    Es ist nicht leicht, einen Gedanken zu denken, der sich mit der vor aller Augen liegenden Welt oder etwas Abstrakten wie der Mathematik beschäftigt und den noch nie ein anderer Mensch zuvor gedacht hat. Vor allem, wenn man sich wie ich damit als Amateur beschäftigt. Wenn ich oben im Artikel keine Vorreiter als Quelle angegeben habe, liegt das daran, dass ich mir ihrer tatsächlich nicht bewusst war, sondern erst im Nachhinein von ihnen erfuhr. Es läge mir fern, die Arbeit eines anderen als meine eigene auszugeben.

    Martin