Ein positiver Saldo reicht nicht

Veränderungen bringen Vor- und Nachteile mit sich. Bei Menschengemachtem erwartet man, dass die Vorteile einer Entwicklung die Nachteile überwiegen – ansonsten wäre es ja besser, die Dinge beim Alten zu belassen. Ich finde, wir sollten uns nicht mit einem postulierten positiven Saldo zufrieden geben, sondern aus dem Gewinn, der sich aus den Vorteilen ergibt, tatsächlich zunächst jene Nachteile bestmöglich ausgleichen, die durch die Veränderung verursacht werden.

Ein Beispiel: Eine neue Autobahn soll gebaut werden, denn es heißt, dass der Nutzen für die Allgemeinheit den Schaden der Anwohner überwiegt. Wenn dem so ist, müsste es doch möglich sein, die Anwohner an der Trasse, die dadurch Bewegungsfreiheit, Ruhe, Luftqualität verlieren, bestmöglich zu entschädigen – nicht nur durch Einbau von Schallschutzfenstern und einer fetten, hohen Mauer, die dann wieder den Ausblick beeinträchtigt, sondern zum Beispiel durch finanziellen Ausgleich der Wertminderung des Eigentums. Das würde einem Anwohner ermöglichen, gegebenenfalls ohne geldlichen Verlust umzuziehen und woanders ähnliche Lebensqualität zu finden wie zuvor. Finanzieren ließe sich das über eine Maut auf der gebauten Autobahn.

Dass die Realität so nicht aussieht, ist schade. Es wird in der Regel nicht alles getan, um die Nachteile auszugleichen, sondern nur das weit niedriger angesetzte rechtlich Notwendige. Den Schaden bei den Benachteiligten nicht auszugleichen hilft der Gewinnmaximierung der Profiteure einer Veränderung. Darüber kann man unglücklich sein, weil es dem Gerechtigkeitsgefühl widerspricht – spätestens dann, wenn man selbst betroffen ist. Bedenklicher daran finde ich aber, dass bei Verzicht auf bestmögliche Kompensation gar nicht der Nachweis erbracht wird, dass tatsächlich die Vorteile überwiegen und sich insgesamt ein positiver Saldo ergibt. Man läuft Gefahr, im Glauben an den größeren Nutzen etwas umzusetzen, was sich nur rechnet, weil tatsächlich gewichtige Schäden nicht ausgeglichen, sondern hingenommen werden müssen.

Die Pflicht zum – soweit menschenmöglich – vollständigen Ausgleich von Nachteilen würde dazu beitragen, dass ausschließlich jene Vorhaben umgesetzt werden, deren Gesamtrechnung tatsächlich positiv ausfällt.

Kommentare

  1. Gestern habe ich mich mit ein paar Kollegen über Länder unterhalten, in denen man es recht gut aushalten kann ohne allzu sehr in der eigenen Freiheit eingeschränkt zu werden. Dabei haben wir mehr oder weniger einstimmig feststellen müssen, dass es einem in Deutschland ausgesprochen gut geht und es kaum andere Länder gibt, in denen man ähnliche Fairness erwarten kann wie hier.

    Auf der anderen Seite heißt das aber auch, dass die Menschheit insgesamt noch einen langen Weg vor ich hat, wenn es darum geht, respektvoll miteinander zu leben. Denn wenn die Menschen sich sogar in einer Zeit ohne Kriege und größere Nöte von Vorraussicht befreien und anderen lieber nicht adequat helfen, dann ist da einfach noch viel Luft nach oben.

  2. @1, Ich denke auch, dass wir es in Deutschland von allen Ländern unter der Sonne ziemlich gut haben. Ich frage mich aber, ob ein Nordkoreaner vielleicht das gleiche von seinem Land sagen würde? Weltenbummler ausgenommen, beruht unsere Kenntnis anderer Nationen hier wie da hauptsächlich auf dem, was unsere heimischen Medien berichten.

    Damit möchte ich nicht sagen, es lebe sich unter der nordkoreanischen Führung bestimmt genauso toll wie hier. Aber vielleicht ist es ganz gut, Nationenvergleichen nicht allzu viel Wert beizumessen. Dankbar sein für das, was man hat, kann man auch so und nichtsdestotrotz nach Verbesserungsmöglichkeiten Ausschau halten – verbessern im Vergleich zu dem, was man bis dato selbst auf die Beine gestellt hat. Wie Du schriebst, ist da noch Raum für eine erfreuliche Weiterentwicklung.

    Martin