71. Perleberg und Spiegelhagen.
Von Alters war zum Dienst dem Rath
Verpflichtet Spiegelhagen;
Die Bauern seufzten früh und spat,
Daß sie so hart geschlagen.
In Dienst und Liefrung sahen sie
Bedrückung grimmer Herren,
Verfehlten und erlahmten nie,
Sich immer neu zu sperren.
Sie gingen wieder vor den Herrn,
Gen Cöln vor Churfürst Friedrich:
„Du bist so mild, Du hilfst so gern!
Ach, unser Loos ist widrig.
Der Perleberger Rath fürwahr
Ist uns ein ew’ger Schrecken;
Er beugt das Recht, das klipp und klar,
Dein Schirm mög’ uns bedecken!“ —
Der Churfürst wies sie fort und sprach:
„Entrichtet, was Ihr schuldig,
Dem Dienste geht mit Eifer nach,
Und lebt in Gott geduldig.“
Der Rath indeß entsetzte sich
Ob solcher Unterthanen,
Und dachte einmal ernstiglich
Und derb sie zu ermahnen.
„Johannes Schurich, Pastor Du
Von Spiegelhagens Bauern,
Wir schicken Dir die Weisung zu,
Sie mächtig zu durchschauern.
Beifolgend Bündel Acten wird
Dir ihren Sinn enthüllen;
So säume nicht, als treuer Hirt
Den Auftrag zu erfüllen.
„Es ist ein renitent Geschlecht,
So reich und übermüthig.
Wenn es sein Opfer willig brächt’,
Wie wär’ die Herrschaft gütig.
Du, Pastor, wirst es wohl verstehn,
Das ihnen vorzulegen,
Daß sie der Hölle Schauer sehn;
So thu’s, dem Volk zum Segen!“ —
Herr Schurich schlug die Acten auf:
„O Gott, was für Gesellen!
Zweihundert Jahr’ schon gingen drauf
Daß sie sich feindlich stellen.
Sie Alle sonder Unterscheid,
Wieviel das Dorf gezeuget,
Sind schon in Widersetzlichkeit
Empfangen und gesäuget.“
Der Sonntag kam und im Ornat
War Schurich nun da oben,
Wo er das Wort allein nur hat,
Sein Kraftstück zu erproben.
Der Texte auch für diesen Fall
Enthält die Bibel viele,
Und Schurich führt mit Klang und Schall
Die Sache wohl zum Ziele.
„Betrieben hab’ ich immer treu
Vor Euch die Exegese;
Nun thut es Noth, daß ohne Scheu
Ich scharf den Text Euch lese.
Hätt’ andres wohl von Dir gedacht,
Du Volk von Spiegelhagen,
Als daß Du Dich daran gemacht,
Die Herrschaft zu verklagen.
„Die Bibel redet: Jedermann!
Ist darin etwas Hartes?
Habt Ihr nicht Euer Theil daran?
Seid Ihr vielleicht Apartes?
Sei unterthan! Ich hab studirt,
Und muß mich unterducken;
Wo hättet Ihr Euch präparirt,
Und wie, Ihr wollt Euch mucken?
„Der Obrigkeit! Da sitzt der Has’,
Das ist fürwahr der Knoten!
Das wär’ für Spiegelhagen was,
Wenn nichts mehr würd’ geboten,
Daß Ihr in dulci jubilo
Fortwälztet Euch in Sünden!
Indeß noch steht es lang nicht so,
Das will Ich Euch verkünden!
„Das Hospital vom heil’gen Geist,
Dem Ihr so viel entzogen,
Weil um den frommen Sinn zumeist
Euch Euer Geiz betrogen,
Auf ewig hält es Euch in Pflicht;
Der Rath wird hier Euch fassen,
Dort oben aber im Gericht
Wird recht Euch nichts erlassen.
„Empfindet Druck der bösen Brut,
Die schwer Euch hält gefangen,
Den Druck vom Geiz und Uebermuth,
Und fühlet ihn mit Bangen!
Doch geht Ihr klagen, und verschweigt
Die Wahrheit contra acta,
Habt Satan Ihr die Hand gereicht
Und schloßt satan’sche Pacta.“
So hielt die Predigt bis zum Schluß
Herr Schurich ohne Wanken;
Die Bauern trugen viel Verdruß
Darüber — in Gedanken.
Doch als die Andacht nun vorbei,
Und neu gelöst die Zungen,
Da sagte Hüfner Sievert frei,
Wie er sich fühlt’ gedrungen.
Und sonder Zügel ließ er wild
Die arge Zunge schweifen;
Bald trat der Stadtknecht ins Gefild,
Der mußte Sievert greifen.
„Ei, Sievert, solches redest Du
Von Deinem Seelenhirten?
Nun lieg im Block und bring zur Ruh
Den Sinn, den schwer verirrten!“
So lag er denn und seufzte tief
In seiner dunklen Kammer,
Bis ihn des Rathes Milde rief
Aus seinem großen Jammer.
„Ja, Herrn, Ihr gabt gerechten Lohn!
Ich dank Euch solcher Gnaden!“ —
„Das, Sievert, ist der rechte Ton,
Der wahret Dich vor Schaden!“ —
Die Bauern klagten jämmerlich
Trotz Pastor Schurichs Predigt,
Nur unser Sievert freute sich,
Weil er des Blocks entledigt.
„Von Pastor, Stadtknecht, Block und Loch
Kann ich zur G’nüge sagen,
Und dienen müssen wir ja doch;
So schweige, Spiegelhagen!
(Seit 1520 beschwerten sich die Bauern über den Rath um Bedrückung. Sie hatten Korn an St. Jacoby und St. Spiritus zu liefern und mußten Hofedienste thun. Da sie den Verpflichtungen gegen Kirche und Hospital nicht zum dritten Theil nachkamen, so zog der Rath sie schärfer zu anderen Diensten heran. — Die von dem Hüfner Sievert F—. am 23. August 1694 geschworene Urfehde lautet: Ich, Sievert F., schwöre zu Gott einen theuren Eid, daß, nachdem Ein Ehrbarer Rath zu Perleberg mich wegen meiner groben Scheltworte, womit ich den Prediger zu Spiegelhagen, meinen Seelsorger, Herrn Johann Schurich, wegen seiner Strafpredigt beleget und dazu gedrohet, in den Block legen lassen, ich solches für eine wohlverdiente, gelinde Strafe achte und niemals rächen wolle, weder durch mich selbst, noch meine Kinder, Angehörige oder sonst Jemand, so wenig an dem Herrn Prediger als an den Rathspersonen oder derselben Habe und Gütern, oder auch an den Dienern und Einwohnern der Stadt Perleberg, so wahr mit Gott helfe und sein Sohn Jesus Christus.)