Um den Sadenbecker Stausee und über die Warnsdorfer Höhe

Dorfteich in Ellershagen

An einem mäßig warmen Sommertag fuhren Hund Rübli und ich in einem Rufbus von Pritzwalk nach Ellershagen. Dort begann unsere Wanderung, die uns am Sadenbecker Stausee entlang und über die Warnsdorfer Höhe führen sollte. Sie startete mit Gebell. Rübli neigt zur Aufregung, vor allem in neuem Umfeld und angesichts von Artgenossen. Ellershagen bot beides.

Ellershagener Straße in Richtung Stausee
Ein erster Blick auf den See
Rübli senkt den Wasserspiegel des Sadenbecker Stausees.

Das für den See namensgebende Dorf Sadenbeck liegt etwa zwei Kilometer südlich des Staudamms. Näher, nur etwa einen halben Kilometer vom Damm entfernt, liegt ein Abbau Sadenbecks mit dem schönen Namen Kuckuck. Diesen Namen hat die Siedlung vom Kuckucksbach. Aber wo ist der Kuckucksbach?

In der Literatur taucht ein Kuckucksbach zwar auch als linker Nebenfluss der Dömnitz auf, doch das ist offenbar ein Fehler. Im Preußischen Urmesstischblatt von 18251 und Reymann’s Special-Karte2 ist es die Dömnitz selbst, die mindestens oberhalb des Dorfes Streckenthin und damit auch im fraglichen Abschnitt mit Kuckucks B. beschriftet ist.

Die Beschreibung der Provinz Brandenburg von Heinrich Berghaus, ebenso aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, stützt diese Auffassung.3 Bereits oberhalb der Hainholzmühle bei Pritzwalk nennt das Werk die Kukuks Bäcke als einen von zwei Quellflüssen der Dömnitz, während der zweite dort nicht näher benannte fraglos den heute Kemnitzbach genannten Arm meint.

Heinrich Berghaus berichtet außerdem, dass seinerzeit selbst im Unterlauf der slawische Name Dömnitz bei Anwohnern ungeläufig geworden sei und das Gewässer bei diesen vorwiegend schlicht Bäcke genannt werde. Bäcke heißt nichts anderes als Bach und wurde nicht wie heute in Zuckerbäcker mit kurzem Ä, sondern lang wie in Häkeln gesprochen.

Zur Vollständigkeit des Gewässernamens sei ergänzt, dass das Schmettausche Kartenwerk aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Dömnitz im Unterlauf Temnitz schreibt – bitte nicht mit dem gleichnamigen Nebenfluss des Rhins verwechseln – und oberhalb von Rohlsdorf mit Die Cramp-Schlange beschriftet. Wie man sieht, waren die Gewässernamen sprichwörtlich im Fluss.

Der heute flache Uferbereich stand einst unter Wasser.

Nun aber zurück zu Kuckuck: Während das aus dem Stausee fließende Wasser der Dömnitz keinen weiten Weg nach Kuckuck hat, geht es den Menschen anders. See und Siedlung werden durch die Bundesautobahn 24 voneinander getrennt, welche dort 1980 auch für den Transitverkehr zwischen West-Berlin und Hamburg freigegeben wurde.

Die Autobahn schnitt die Kuckucker von den direkten Wegen nach Rapshagen, Rohlsdorf und Ellershagen ab. Den Umweg zum See konnten sie beim Straßenbau aber noch nicht beklagen, denn die Talsperre wurde in den 1980er Jahren erst nach der Autobahn angelegt.1

Wer heute die Autobahn aus Richtung Wittstock/Dosse und Berlin nimmt, kreuzt die Dömnitz zwischen See und Kuckuck etwa einen Kilometer nach dem Parkplatz Blesenberg, aus Richtung Schwerin und Hamburg etwa ein Kilometer vor dem Parkplatz Kiebitzberg. Die gegenüberliegenden Parkplätze tragen tatsächlich verschiedene Namen.

Zwei kleine Inseln
Talsperre Sadenbeck
Der Staudamm am Südende des Sees

Das östliche Ende des Staudammes des Sadenbecker Stausees liegt in der Gemeinde Halenbeck-Rohlsdorf, der Westteil im Pritzwalker Ortsteil Sadenbeck. Die Gemeindegrenze verläuft im Stausee etwa entlang dem alten Verlauf der Dömnitz und eines von Nordwesten in den See mündenden Bächleins. Insgesamt hat der See drei Zuflüsse. Allein die Dömnitz trägt einen Eigennamen.

Der Pegel zeigt einen sehr niedrigen Wasserstand an.

Im Frühjahr 2019 ordnete das Landesamt für Umwelt Brandenburg an, den Wasserstand des Sees um etwa eineinhalb Meter – einen Danny DeVito – abzusenken. Die Standsicherheit des Staudamms war gefährdet.6 In der Folge beschloss der Landtag Brandenburg, den Flachlandspeicher in den kommenden Jahren in einen naturnahen Landschaftssee umbauen zu lassen.7

Viele Wege …
Schilf am Sadenbecker Stausee
… führen an den See.
Blick zum nördlichen Ende des Sadenbecker Sees

Am Nordende des Sees standen Kraniche im flachen Wasser. Stehend im Wasser schlafen die etwa 1,20 Meter hohen Vögeln auch. Ich trat dort nicht ans Ufer, um die Tiere nicht zu stören. Den Vögeln wird in Deutschland eine Flucht bei Annäherung auf unter 300 Metern nachgesagt. Jeder Versuch einer Großaufnahme mit Smartfon oder einer anderen Kamera ohne Teleobjektiv ist zum Scheitern verurteilt.

Perlmuttglanz am Strand zeugt von muscheligen Seebewohnern.
Sumpfiges Gelände am Zufluss im Nordwesten – Schrott wie Rasenmäher und Toilettenbecken wurden hier vielleicht bei mehr Feuchtigkeit abgeladen.
Rohlsdorf voraus

Rohlsdorf ist nicht das einzige Dorf, das Rübli und ich an diesem Tag mit unserem Weg nur ankratzten. So finden sich auf dieser Seite kaum Ortsansichten und keine Bilder der Baudenkmale. Dies ist kein Ausdruck mangelnden Interesses, sondern dem Vermeiden von Hundestress geschuldet.

Rohlsdorf zurück
Ortsausgangstafel von Rohlsdorf in Richtung Halenbeck
Halenbeck und Rohlsdorf geben der Gemeinde Halenbeck-Rohlsdorf ihren Namen.

Die Wanderung dieses Tages führte uns zu allen Gemeindeteilen von Halenbeck-Rohlsdorf: Ellershagen, Rohlsdorf, Halenbeck, Warnsdorf und schließlich Brügge. Außer Ellershagen sind diese Orte seit 1325 urkundlich dokumentiert, praktischerweise im selben Schriftstück: Rohlsdorf als Rulofestorpe bzw. Ruleuestorppe, wobei das zweite u hier vermutlich wie heute v zu lesen ist, Halenbeck als holebeke bzw. Holbeke, Warnsdorf als Wernerstorp und Brügge als brugghe bzw. Brukge.9

In Ellershagen feierte man 2017 das 500-jährige Bestehen.10 Bestehen? Nun ja, 1517 war Eldershagen eine wüste Feldmark. Wie Ellershagen11 wurde auch das wüst gefallene Warnsdorf im 18. Jahrhundert wiederbesiedelt.12 Wer aus der Umgebung das Land bis dahin nutzte, war über so eine Entwicklung nicht immer begeistert. Der König aber wünschte die Peuplierung der menschenleeren Räume.

Brandenburgische Landesstraße 154
Wir kommen dem Himmel immer näher …
… und das sind übrigens wir.
Bushaltestelle mit Wartehäuschen
Halenbeck, Abzweig

Die Schritte zur gemeinsamen Gemeinde waren wie folgt: Am 30. September 1928 wurde der Gutsbezirk Ellershagen nach Rohlsdorf eingemeindet.13 Am 18. August 1962 wurden Brügge und Warnsdorf in Halenbeck eingegliedert. Am 31. Dezember 2001 schlossen sich Rohlsdorf und Halenbeck zu Halenbeck-Rohlsdorf zusammen.14 Halenbeck-Rohlsdorf wird seit dem 1. Juli 2002 vom Amt Meyenburg verwaltet.15

Halenbeck, Pritzwalker Straße
Die höchste Passstraße des Landkreises Prignitz verbindet Halenbeck und Warnsdorf.
Wuhu, die Warnsdorfer Höhe – auf ihr findet man unter anderem Wassertanks, einen Kommunikationsmast und ein Windrad.

Die Warnsdorfer Höhe ist die höchste Erhebung im Nordwesten Brandenburgs. Das Statistische Jahrbuch des Landkreises Prignitz gibt 153,2 m über Normalhöhennull an, allerdings ohne die Erhebung zu benennen.16 Auch in aktuellen Karten fand ich keinen Namen. Die Bezeichnung Warnsdorfer Höhe verriet mir erst ein Schild vor Ort zusammen mit der Angabe von 153,9 Meter über Normalnull.

Warnsdorfer Höhe scheint weniger ein etablierter Eigenname als eine treffende Beschreibung zu sein. Eine Informationstafel im Dorf nutzt die Mehrzahl Warnsdorfer Höhen.12 Berghaus verwies Mitte des 19. Jahrhunderts ebenso deskriptiv mit den Formulierungen hohe Gegend bei Warnsdorf, Plateau von Warnsdorf, Warnsdorfer Plateau sowie hohes Land von Warnsdorf auf diese Landschaft.4

Auch ohne auffällig aufragenden Gipfel spielt das Plateau eine gewichtige Rolle für die Geografie der Prignitz. In und um Halenbeck-Rohlsdorf entspringen mehrere Wasserläufe: die Kümmernitz, die in die Dömnitz mündet; die Dömnitz selbst, die in die Stepenitz fließt; die Stepenitz selbst, die sich in die Elbe ergießt. Nach Osten führen Bäche wie die Redlitz, früher auch Rödelitz genannt,5 ihr Wasser zur Dosse.

Windpark nordwestlich des höchsten Punkts bei Warnsdorf.

Noch höher als auf die Warnsdorfer Höhe klettern kann man bei entsprechender Berufswahl zur Wartung der Windräder auf dem Plateau. Die Regionale Planungsgemeinschaft Prignitz-Oberhavel weist hier das Eignungsgebiet Windenergienutzung Nr. 6 Halenbeck - Schmolde - Warnsdorf aus. Die nächste natürliche Erhebung, welche die Warnsdorfer Höhe überragt, findet man unter den Gipfeln der Ruhner Berge rund 25 Kilometer entfernt im benachbarten Mecklenburg-Vorpommern.

Ortseingang von Warnsdorf
Milchkanne mit Hausnummer 13
Apropos dreizehn: In Halenbeck-Rohlsdorf liegt die Bevölkerungsdichte bei 13 Einwohnern je Quadratkilometer.17
Die Bergstraße führt von Warnsdorf hinab gen Brügge. Apropos Bergstraße: Am Kiosk mit Vertrauen in Warnsdorf kaufte ich eine kleine Stoffente. Sehr schön!
Landwirtschaftliches Gerät vor Brügge

Der Ortsname Brügge bedeutet so viel wie Brücke. Zu überbrücken gibt es in Brügge allerdings nichts Nennenswertes. So haben den Namen vermutlich Siedler aus ihrer Heimat in westlicheren Landen mitgebracht. In Brügge endete auch unsere Wanderung. Rübli und ich stiegen hier in den Linienbus nach Pritzwalk, um von dort mit der Eisenbahn heimzukehren.

Hundekotbeutel gehören anscheinend nicht in den Mülleimer – aber was machen vorbildliche Hundehalter: Kot am Wegesrand liegen lassen oder in den Bus tragen?

  1. Pöyry Deutschland GmbH: Gewässerentwicklungskonzept Stepenitz, Dömnitz & Jeetzebach, November 2012, Seite 40f.
  2. Reymann’s Special-Karte, Blatt 57 (Perleberg), Entw. und gez. v. F. Handtke, circa 1860.
  3. Heinrich Berghaus: Landbuch der Mark Brandenburg und des Markgrafenthums Nieder-Lausitz, Erster Band, Brandenburg 1854, S. 312.
  4. ebenda, S. 310ff., S. 373
  5. ebenda, S. 377
  6. Landesanglerverband Brandenburg e.V. (Hrsg.): Wasserabsenkung im Stausee Sadenbeck, 27. März 2019.
  7. Landtag Brandenburg: Drucksache 6/11496 (Antrag der SPD-Fraktion, der CDU-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE: Umbau des Wasserspeichers Sadenbeck in einen naturnahen Landschaftssee - Ein wichtiger Beitrag zur Gestaltung der Kulturlandschaft in der Prignitz, vom 4. Juni 2019).8
  8. Der Antrag wurde angenommen, siehe Beschlussprotokoll BePR 6/81.
  9. Adolph Friedrich Riedel (Hrsg.): Codex diplomaticus Brandenburgensis, erster Haupttheil, zweiter Band, Berlin 1842:
    1. Urkunde VII auf S. 266,
    2. Urkunde XI auf S. 271.
  10. Beate Vogel: Gemeindefest zum 500-jährigen Bestehen, Märkische Allgemeine, 16. Juli 2017, abgerufen am 14. September 2021.
  11. Lieselott Enders: Die Prignitz – Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert, Verlag für Berlin-Brandenburg, 1. Auflage, Potsdam 2000, S. 924.
  12. Informationstafel in Warnsdorf
  13. Amtsblatt für den Regierungsbezirk Potsdam, Jahrgang 1928, Sonderausgabe Nr. 5 ausgegeben am 27. September 1928, Nr. 726, S. 307.
  14. Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik (Hrsg.): Historisches Gemeindeverzeichnis des Landes Brandenburg 1875 bis 2005, Landkreis Prignitz, Beitrag zur Statistik 19.12, Potsdam 2006, Seite 35.
  15. Amtsblatt für Brandenburg, 13. Jahrgang, Nr. 26, Potsdam, 26. Juni 2002, S. 618.
  16. Landkreis Prignitz/Der Landrat (Hrsg.): Statistischen Jahrbuch 2012/13, S. 10.
  17. Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (Hrsg.):
    1. Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungsstand im Land Brandenburg Mai 2021, S. 13: 512 Einwohner.
    2. Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung im Land Brandenburg 2020, S. 24: 3967 Hektar.