Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf

Thomas Hobbes schrieb im 17. Jahrhundert unserer Zeitrechnung:

Nun sind sicher beide Sätze war: Der Mensch ist ein Gott für den Menschen, und: Der Mensch ist ein Wolf für den Menschen; jener, wenn man die Bürger untereinander, dieser, wenn man die Staaten untereinander vergleicht. Dort nähert man sich durch Gerechtigkeit, Liebe und alle Tugenden des Friedens der Ähnlichkeit mit Gott; hier müssen selbst die Guten bei der Verdorbenheit der Schlechten ihres Schutzes wegen die kriegerischen Tugenden, die Gewalt und die List, d.h. die Raubsucht der wilden Tiere, zu Hilfe nehmen.

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Bemerkenswert für Hobbes war die Zwiegestalt menschlicher Beziehungen: die Güte in der eigenen Gruppe und die Gewalt zwischen verschiedenen Gruppen. Während er das Erste göttlich nennt, identifiziert er Letzteres als wölfisch.

Die Formulierung vom Menschen, der dem Menschen ein Wolf ist – im lateinischen Original homo homini lupus –, dachte sich Thomas Hobbes nicht selbst aus. Ganz ähnlich steht sie bereits in den Eseleien des Dramatikers Titus Maccius Plautus aus dem vorchristlichen Rom.

Aus dem alten Rom kennen wir andererseits den Gründungsmythos der Stadt, demzufolge die ausgesetzten Zwillinge Romulus und Remus von einer Wölfin gesäugt wurden. Offenbar war dies eine populäre Geschichte; wir finden die Szene auf antiken Münzen. Dem europäischen Kulturraum ist also auch eine fürsorgliche Seite bei Wölfen nicht fremd.

Bemerkenswert für mich ist, dass sich tatsächlich die Zwiegestalt des Menschen ebenso bei Wölfen findet – die Güte innerhalb des Rudels und die Gewalt gegenüber Fremden selbst der eigenen Art. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf beschreibt nicht nur die eine Seite der Medaille, wie Hobbes meinte. Es beschreibt die ganze Medaille.

Schäferhündin

Die Ähnlichkeit im Verhalten mag eine entscheidende Rolle gespielt haben, als zwischen Wölfen und ebenfalls jagenden und sammelnden Menschen vor zehntausenden Jahren aus einem Neben- ein Miteinander wurde. Wir ergänzten einander vorteilhaft mit unterschiedlichen Fähigkeiten, aber unser Sozialverhalten passte auch zueinander.

Die Gemeinsamkeiten mit Hunden, wie wir die Nachfahren jener Wölfe nennen, die zusammen mit Menschen Raum und Zeit durchwanderten, gehen noch über Parallelen zwischenmenschlicher und zwischenwölfischer Beziehungen hinaus: Oft finden wir, dass Zuneigung und Loyalität eher Gefährten der anderen Art als Fremden der eigenen entgegengebracht wird.