Gelesen: Den Leuten aufs Maul

Das Buch mit dem Untertitel „Ein- und Ausfälle vom Besserwisser“ ist eine Sammlung von Glossen von Eike Christian Hirsch zu den Herausforderungen unserer deutschen Sprache und dem Scheitern beim Umgang mit ihr.

Manche Texte sind sehr zum Schmunzeln, sei es wegen gelungener Wortspiele oder köstlich missverständlicher Formulierungen aus dem wahren Leben. Manche Texte greifen auf, was mir selbst unter den Nägeln brennt: Eine Steigerung um das Doppelte ist beispielsweise nicht dasselbe, wie eine Steigerung auf das Doppelte, wird aber leider oft synonym verwendet. In anderen Texten gibt Eike Christian Hirsch aufschlussreiche Einblicke in die Tücken der Werbesprache, nämlich wie man dem potenziellen Kunden eine falsche Vorstellung einimpft, ohne zu lügen.

Bei Beobachtungen zum Übergang vom „Sie“ zum „Du“ unter flüchtig Bekannten, vom „Guten Morgen“ zum „Hallo“ hätte ich mir tiefer gehende Überlegungen gewünscht. Auch wenn der Autor die kürzeren, informellen Varianten schelmisch als frisch, flockig und fortschrittlich bezeichnet, merkt man ihm das Bedauern und die Kritik am Wandel an. Doch was ist ein Wunsch wie „Guten Morgen“ im Vergleich mit einem wenig sagendem „Hallo“ wert, wenn er floskelhaft gebraucht wird? Die „Hallo!“ betitelte Glosse beginnt mit den Worten:

Wenn ich über den Flur gehe und einen Kollegen treffe, dann bemühe ich mich, einen netten Eindruck zu machen.

Zwar spricht eine gewisse Wertschätzung daraus, dass man sich Mühe macht, um bei jemandem einen netten Eindruck zu hinterlassen, doch der eigentliche Wortsinn – dem anderen selbstlos zu wünschen, einen erbaulichen Tagesanfang zu erleben – scheint nicht Motivation für den Gruß zu sein. Warum sollte ein „Hallo“ in freundlichem Ton, von einem Lächeln begleitet, nicht auch einen netten Eindruck erreichen?

Die Buchform verleitet dazu, viele Glossen in kurzer Folge zu lesen, wie ich es während Bahnfahrten tat. So ermüdet es jedoch etwas. Besser wäre, sie einzeln wirken zu lassen.

Schließen möchte ich diese Notizen mit einer Aufmunterung, sich von der Lektüre nicht einschüchtern zu lassen. Einerseits wäre das nicht im Sinne von Eike Christian Hirsch, der die Sprache und das Spiel mit ihr zu lieben scheint. Andererseits beweist auch der „Besserwisser“, dass er vor ihren Fallstricken nicht gefeit ist. So schreibt er in der Glosse „Kehrtwendung um 360 Grad“ trefflich:

Nun gibt es freilich sogar Leute, die sagen: „Ich verdiene heute dreimal weniger als vor einem Jahr.“ Was, um Himmels willen, heißt „dreimal weniger“? Ich weiß es nicht, und offen gesagt, ich will es auch nicht wissen. Denn diese Konstruktion ist mir nicht geheuer.

In „Der Mond will mogeln“ findet der Autor jedoch:

Der Monddurchmesser ist nur ein Vierhundertstel so groß wie der Sonnendurchmesser. Aber das macht unser bleicher Bursche dadurch wett, daß er auch ziemlich genau vierhundertmal so nahe bei uns steht.

Ich ahne ja, was es heißen soll, auch wenn mir die Formulierung nicht geheuer ist. In diesem Sinne: Riskiere ruhig den einen oder anderen sprachlichen Lapsus statt fehlerfrei zu schweigen! Ein wohlwollender Zuhörer wird es schon verstehen.

„Den Leuten aufs Maul“ erschien 1982 bei Hoffmann und Campe. Meine dtv-Ausgabe von 1987 kostete den Käufer einst 8.80 Deutsche Mark.

Kommentare

  1. Faut-il savoir l'allemand pour lire ce livre?

  2. Il s'occupe depuis longtemps de l'allemand - https://de.m.wikipedia.org/wiki/Eike_Christian_Hirsch .

    C'est bizarre qu'il est né aux Pays-Bas et s'en occupe.

    Dirais-tu, cher Martin, que tu vas améliorer ta lange maintenant où t'as lu ce livre? Nous faudrait, en effet, parler mieux? Ou est-ce qu'une langue elle vive?

    J'ai eu jusqu'à là l'impression que je pourrais bien m'entretenir, donc ma lange suffit, non?

  3. Es hilft, @1.

  4. Ich habe mich durch das Buch angeregt gefühlt, mehr mit Sprache zu spielen, @2.

    In einem anderen Sinn besser zu sprechen habe ich nach dem Lesen nicht vor. Ich achte sowieso berufsbedingt auf Korrektheit, da zu meinen Aufgaben das Korrigieren von Texten gehört. Wenn ich beim Schreiben etwas ändern sollte, dann wäre es eher, Rechtschreibung und Formulierungen weniger Aufmerksamkeit zu schenken – zunächst jedenfalls. Mit Mikrokorrekturen während des Schreibens blockiere ich mich zu häufig. Besser wäre, Texte erst in einer Entwurfsfassung ohne Skrupel, dabei die Orthografie zu rasieren, bis zum Ende zu schreiben und dann zu überarbeiten.

    Martin