Dreieckseiten in geometrischer Folge
Die drei Zahlen a, b, c bilden eine geometrische Folge, wenn b zu a im gleichen Verhältnis wie c zu b steht, also:
Im Artikel Fingerabdrücke von Dreieckseigenschaften
beschrieb ich zwei Möglichkeiten, ein charakteristisches Bild einer Eigenschaft von Dreiecken zu erstellen, indem alle denkbaren Dreiecke mit jener Eigenschaft als Punkte in ein Diagramm eingetragen werden. Im Folgenden erstelle ich solche Fingerabdrücke für die Eigenschaft von Dreiecken, dass die Längen ihrer Seiten eine geometrische Folge a, b, c oder b, a, c bilden. Dabei wird c ohne Beschränkung der Allgemeinheit als längste Seite angenommen.
x-y-Diagramm
Im x-y-Diagramm wird für ein jedes Dreieck ein Punkt an den Koordinaten x und y gesetzt, wobei sich x und y als Seitenverhältnisse von a zu c und b zu c berechnen:
Wenn die Seitenlängen eine geometrische Folge a, b, c bilden, gilt Gleichung (1), die man per Multiplikation mit b leicht nach c umstellen kann:
Ersetzt man dementsprechend c in den Definitionen (2), erhält man:
Daraus folgt die einfache quadratische Gleichung
Wenn die Seitenlängen statt einer geometrische Folge a, b, c die geometrische Folge b, a, c bilden, erhält man mit der gleichen Überlegung stattdessen die quadratische Gleichung $y=x^2$; die Koordinaten sind dann also vertauscht. Die Graphen beider quadratischen Gleichungen lassen sich leicht ins Diagramm einzeichnen.
α-β-Diagramm
Im α-β-Diagramm wird für ein jedes Dreieck ein Punkt an den Koordinaten α und β gesetzt, wobei α und β die Innenwinkel gegenüber den Seiten a und b des Dreiecks sind. Wie im Artikel zu den Fingerabdrücken von Dreieckseigenschaften dargelegt ist, kann man α und β stets aus x und y errechnen:
Ersetzt man darin der Gleichung (5) entsprechend $y^2$ durch x beziehungsweise y durch $\sqrt{x}$, so erhält man eine Parametergleichung des Graphen aller Dreiecke mit Seiten a, b, c in geometrischer Folge fürs α-β-Diagramm:†
Die Parametergleichung für Dreiecke mit Seiten b, a, c in geometrischer Folge erhält man wieder, indem man die beiden Koordinaten, α und β, vertauscht.
Die Parametergleichung ist praktisch, um Punkte des Graphen für das α-β-Diagramm zu errechnen. Aber es wäre schön, auch eine einfache Gleichung zu haben, die α und β ohne zusätzlichen Parameter x in Beziehung setzt, oder? Eine solche zu finden, ist in diesem Fall nicht schwer … Dem Sinussatz zufolge gelten in jedem Dreieck die beiden Gleichungen:
Ersetzt man ihnen entsprechend in der Gleichung (1) die Brüche, erhält man:
In jedem Dreieck beträgt die Summe der Innenwinkel im Bogenmaß $\alpha+\beta+\gamma=\pi$ oder umgestellt $\gamma=\pi-(\alpha+\beta)$. Nutzt man dies und die Symmetrie der Sinusfunktion $\sin(\pi-z)=\sin z$, kann man $\sin\gamma$ durch $\sin(\alpha+\beta)$ ersetzen und erhält eine schöne implizite Koordinatengleichung für alle Dreiecke mit Seiten a, b, c in geometrischer Folge:
Für Dreiecke mit einer geometrischen Folge der Seitenlängen b, a, c vertausche man schlicht α und β und erhalte:
Findest du in dieser Formel auch eine Verwandtschaft zur Definition des goldenen Schnitts angedeutet?
Kepler-Dreieck
Dir wird nicht entgangen sein, dass sich die bläulichen Graphen für Dreiecke mit Seiten in geometrischer Folge mit den orangen Graphen für rechtwinklige Dreiecke in der zweiten und dritten Abbildung jeweils in zwei Punkten schneiden. Das heißt, es gibt genau zwei Formen von Dreiecken, die zugleich rechtwinklig sind und deren Seitenlängen eine geometrische Folge bilden. (Die eine Form ist das Spiegelbild der anderen, ansonsten sind sie gleich.) Ein so geformtes Dreieck wird Kepler-Dreieck genannt.
Im Kepler-Dreieck ist der Quotient der geometrischen Folge die Quadratwurzel des goldenen Schnitts ϕ. Im Fall der geometrischen Folge a, b, c ist also:
Beweis
Im rechtwinkligen Dreieck gilt der Satz des Pythagoras:
Gleichung (1) beiderseits mit ab multipliziert ergibt $b^2=ac$, was man in Pythagoras’ Satz einsetzen kann:
Teilt man nun beide Seiten durch ac und kürzt, erhält man:
Das Verhältnis links und rechts des Gleichheitszeichens ist da laut Definition der goldene Schnitt. Ergo:
Multipliziert man Gleichung (1) beidseitig mit $b/a$, erhält man:
Laut (16) ist die rechte Seite dieser Gleichung ϕ. Zieht man beiderseits die Wurzel, bleibt:
- ✻
- Die beiden Äste der bläulichen Kurve $x=y^2$ und $y=x^2$ lassen sich im Vektorgrafikformat SVG gut als Bézierkurven angeben. Siehe dazu
Quadratische Funktion → Bézierkurve
. Die Bézierpunkte sind $(\phi^{-2},\phi^{-1}),(\phi^{-1},\phi/2),(1, 1)$ bzw. $(\phi^{-1},\phi^{-2}),(\phi/2,\phi^{-1}),(1, 1)$, wobei ϕ für den goldenen Schnitt steht. Die orange Kurve lässt sich als Viertelkreis ebenfalls leicht definieren. - †
- Die untere Intervallgrenze lässt sich aus Gleichung (5) und der Ungleichung $x+y>1$ errechnen, welche aus dem Umstand folgt, dass die beiden kurzen Seiten eines Dreiecks zusammen länger als die lange Seite sein müssen.