Zu einer Reihendarstellung der Kreiszahl π
Auf Ihrer Webpräsenz schreibt Elisabeth Becker-Schmollmann in Grundzügen von einem eleganten, regelmäßigen Rechenweg, der gegen die Kreiszahl π konvergiert. Entdeckt hatte diese Methode ihr mittlerweile verstorbener Vater und Erfinder Jürgen Lang, 1923 in Völklingen geboren.
Einerseits interessierte ich mich für die Methode von Herrn Lang, andererseits interessierte sich Elisabeth auch dafür, ob die Methode doch auch schon von jemand anderem entdeckt wurde. So sandte sie mir eine konkrete Beschreibung, die man so wiedergeben kann:
- Man beginnt mit der Zahl 2.
- Diese multipliziert man mit 1/3 und erhält so eine neue Zahl.
- Das Ergebnis aus dem vorigen Schritt multipliziert man mit 2/5.
- Das Ergebnis aus dem vorigen Schritt multipliziert man mit 3/7.
- Das Ergebnis aus dem vorigen Schritt multipliziert man mit 4/9.
- Dieses Schema setzt man fort: Der Zähler des neuen Faktors wird um eins, der Nenner um zwei erhöht.
- Addiert man die Zahlen dieser unendlichen Folge, erhält man genau π.
Zu dieser Beschreibung stellte ich eine Formel auf und verglich sie mit anderen bei Wikipedia – vor der Entwicklung des weltweiten Netzes wäre eine solche Recherche noch viel aufwendiger und schwieriger gewesen. Ich wurde fündig: Die Methode von Herrn Lang wurde bereits früher entdeckt. Im Folgenden erläutere ich zwei Möglichkeiten, die Beschreibung in eine Formel umzuwandeln, und wo ich die Methode fand.
Die Schritte in einer Tabelle
Zuerst legte ich eine Tabelle an, in der ich die Werte aus jedem Schritt notierte. So konnte ich mir einen Überblick verschaffen und ausprobieren, ob man sich damit π annähert – ob ich die Beschreibung also richtig verstanden hatte.
Schritt | Term |
---|---|
0 | $2$ |
1 | $2\cdot\frac{1}{3}$ |
2 | $2\cdot\frac{1}{3}\cdot\frac{2}{5}$ |
3 | $2\cdot\frac{1}{3}\cdot\frac{2}{5}\cdot\frac{3}{7}$ |
4 | $2\cdot\frac{1}{3}\cdot\frac{2}{5}\cdot\frac{3}{7}\cdot\frac{4}{9}$ |
5 | $2\cdot\frac{1}{3}\cdot\frac{2}{5}\cdot\frac{3}{7}\cdot\frac{4}{9}\cdot\frac{5}{11}$ |
⋮ | ⋮ |
Summe | $\pi$ |
Die Summe der Schritte null bis neun ergibt 3,140578…; π hat einen Wert von 3,141592… und mit jedem weiteren Schritt kam ich der Kreiszahl näher. Es sah also gut aus.
Wir basteln uns eine Formel
Schaut man sich in der Tabelle den letzten Bruch im n-ten Schritt an, findet man im Zähler die Zahl n und im Nenner 2n + 1:
n | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | … |
---|---|---|---|---|---|---|
2n + 1 | 3 | 5 | 7 | 9 | 11 | … |
Zusammen ergeben Zähler und Nenner die Form
Im n-ten Schritt haben wir allerdings nicht nur jenen letzten Bruch, sondern multiplizieren mit allen Brüchen, die in den Schritten zuvor hinzukamen. Diese Multiplikation von n Brüchen kann man mit dem Produktzeichen ausdrücken:
Die Formel besagt, dass wir in den Bruch $\frac{k}{2k+1}$ für k nacheinander alle Zahlen von 1 bis n einsetzen und all diese Brüche miteinander multiplizieren.[Anm.] Weil wir in jedem Schritt anfangs einmal mit 2 multiplizieren, setzen wir vors Produktzeichen einmal die 2:
Um exakt die Kreiszahl π zu erhalten, müssen wir die Ergebnisse jedes Schrittes vom 0-ten an immer weiter addieren. Um das auszudrücken, können wie das Summenzeichen verwenden, wobei ∞ für unendlich steht:
Die 2 in jedem Produkt können wir aus der Summe ausklammern. Dazu schreiben wir sie vor das Summenzeichen. Außerdem notieren wir, dass die Formel π ergibt:
Ich mag diese Gleichung sehr. Die Darstellung mit Summen- und Produktzeichen mag für jemanden, der sie in der Schule nie gesehen hat, fremd oder gar einschüchternd wirken. Die Schreibweisen drücken aber gut nachvollziehbar, quasi algorithmisch aus, was passiert – für Programmierer ein einfacher Zugang.
Eine Variante mit Fakultäten
Die Schreibweise mit kombiniertem Produkt- und Summenzeichen mag bei Mathematikern allgemein weniger beliebt sein. Für wiederholte Multiplikationen gibt es auch andere Notationen. So formte ich die Formel noch einmal um. Zunächst zog ich das Produktzeichen in Zähler und Nenner. Das geht problemlos, denn allgemein ist
Nichts anderes tat ich beim Umwandeln von Gleichung (1) in Folgendes:
Über dem Bruchstrich steht nun das Produkt der natürlichen Zahlen von 1 bis n. Mathematiker nennen dieses spezielle Produkt n Fakultät und kennzeichnen es mit einem Ausrufezeichen:
Unter dem Bruchstrich von Gleichung (2) steht das Produkt aller ungeraden Zahlen von 3 bis 2n + 1. Wir können daraus auch das Produkt aller ungeraden Zahlen von 1 bis 2n + 1 machen, denn ein zusätzliches Multiplizieren mit 1 ändert nichts am Ergebnis.
Das Produkt aller ungeraden Zahlen von 1 bis 2n + 1 erhält man, wenn man aus dem Produkt aller natürlichen Zahlen bis 2n + 1 die geraden Zahlen bis 2n wegkürzt. Das Produkt der geraden Zahlen bis 2n lässt sich als Produkt der ersten n natürlichen Zahlen, jeweils mit 2 multipliziert, darstellen. Demnach ist
Setzt man die Ergebnisse (3) und (4) in Gleichung (2) ein, erhält man
Formel – Gefunden!
Mit der Gleichung (5) wurde ich im Abschnitt Other classical formulae auf der Seite Approximations of π in der englischen Wikipedia fündig. Bei Wikipedia wurde als Quelle die Seite Pi Formulas von Wolfram MathWorld angegeben. Auf der Wolfram-Seite war als Quelle Item 120 des Memos HAKMEM angegeben, im Februar 1972 herausgegeben von M. Beeler, R. W. Gosper und R. Schroeppel.
Dort wie in den Quellen auf dem Weg dahin stand jeweils ein Hinweis auf Leonhard Euler. Seine Reihentransformation, angewandt auf die Leibniz-Reihe, erbringe das gesuchte Ergebnis. Diese Aussage fand ich noch unbefriedigend. Ich wollte wissen, ob Euler seine Techniken auch tatsächlich auf genau dieses Problem angewandt hatte, um π darzustellen.
Es brauchte etwas Zeit und einige Suchmaschinenläufe, bis ich in einer Arbeit von Walter Gautschi, Leonhard Eulers Umgang mit langsam konvergenten Reihen, einen Hinweis auf eine Original-Textstelle fand.
Tatsächlich hat Leonhard Euler das Resultat in seinem 1755 veröffentlichten Werk Institutiones calculi differentialis cum eius usu in analysi finitorum ac doctrina serierum, Teil 2, Kapitel 1 (De transformatione serierum), Absatz 11 II. aufgeführt. Der Absatz beginnt mit der Leibniz-Reihe, welche auch dem Schotten Gregory bekannt war. Euler schreibt: „Diese Reihe ist für den Kreis gesetzt“.
Sit proposita ista series pro circulo :
$$S=1-\frac{1}{3}+\frac{1}{5}-\frac{1}{7}+\frac{1}{9}-\frac{1}{11}\;\mathrm{\&c.}$$
S steht hierin für $\frac{\pi}{4}$. Nach Zwischenschritten der Umformung endet der Absatz mit der Schlussfolgerung:
Hinc ergo concluditur fore summam seriei : […]
$$2S=1+\frac{1}{3}+\frac{1\cdot 2}{3\cdot 5}+\frac{1\cdot 2\cdot 3}{3\cdot 5\cdot 7}+\frac{1\cdot 2\cdot 3\cdot 4}{3\cdot 5\cdot 7\cdot 9}+\mathrm{\&c.}$$
Man muss nur beide Seiten jener Gleichung mit 2 multiplizieren, um hierin die rechte Spalte der obigen Tabelle exakt wiedergegeben zu sehen.
Ich stieß außerdem auf Bemerkungen, denen zufolge einer der Brüder Fatio de Duillier, Nicolas oder Jean Christophe, bereits um 1704 die Formel gefunden habe (z. B. Folkmar Bornemann, 2008). Eine Benennung des Werkes oder gar das Werk selbst, in welchem Fatio die Formel niederschrieb, fand ich allerdings nicht.
- [Anmerkung]
- Im 0-ten Schritt müsste man in das mit dem Produktzeichen ausgedrückte Produkt für k quasi „alle Zahlen von 1 bis 0“ einsetzen. Ist die Von-Zahl wie in diesem Fall größer als die Bis-Zahl, setzt man nichts ein und spricht von einem leeren Produkt. Das leere Produkt hat immer den Wert 1. Die Zahl 1 ist das neutrale Element der Multiplikation, denn wenn man eine Zahl mit 1 multipliziert, verändert man die Zahl nicht.