Sebastian Fitzek: Noah
Thriller, erschienen bei Bastei Lübbe

Noah hat sein Gedächtnis verloren. Zusammen mit seinem obdachlosen Kumpel Oscar, der ihn nach einer Schussverletzung wieder hochgepäppelt hat, macht sich Noah von Berlin aus in einer im Chaos zu versinken drohenden Welt auf die Suche nach seiner Identität und einer Heilung für jene grässliche Seuche, welche dabei ist, die Menschheit zu dezimieren. Zahlreiche Gestalten trachten Noah auf seiner Odyssee nach dem Leben und lassen meist das ihre, denn wie Noah rasch über sich herausfindet, besitzt er ein Talent fürs Töten („Du betrittst einen Raum und Menschen sterben wie die Schmeißfliegen“).

Weitere Handlungsstränge folgen der New Yorker Reporterin Celine, philippinischen Slumbewohnern und einem Multimilliardär. Dass all die Linien, die Sebastian Fitzek zeichnet, letztendlich miteinander verwoben sind, wird niemanden überraschen, der schon den einen oder anderen Roman gelesen hat. Verflochten werden auch Themen wie Ressourcenverbrauch, Ungleichverteilung des Wohlstandes und Klimawandel (Lesezeichenaufdruck: „Wie viele Menschen verträgt unser Planet?“) mit Verschwörungstheorien à la Chemtrails.

Jenseits der Verschwörungstheorien stellen sich Fragen nach der Plausibilität der Geschichte: Warum rennen Handlanger einer radikalen Geheimorganisation mit offensichtlichen Abzeichen herum, bis hin zur Tätowierung des Namens der Organisation auf gut sichtbaren Körperstellen? Warum nennen Charaktere im Buch Noah „Noah“, die keinen Grund dazu haben, außer den Leser im Halbdunkeln des Wissens, wer gemeint ist, und des Unwissens über dessen wahre Identität zu lassen? Auch die konkrete Ausprägung des Gedächtnisverlusts Noahs hat mich nicht überzeugt.

Der Mix aus Gewalt und moralischer Botschaft hinterlässt einen teils bizarren Eindruck. Zwar ist dies nicht gänzlich unpassend, denn wie Sebastian Fitzek aufzeigt, agiert die Menschheit und insbesondere die Industrienationen, deren Teil wir alle sind, in der Realität nicht minder zynisch. Nichtsdestotrotz lenken adrenalintriefende Szenen vom intensiven eigenen Nachdenken über die geschilderten Probleme ab. Zudem scheint der moralische Standpunkt des Autors für mich zu oft zu stark durch, anstatt dem Leser Raum für eine eigene Bewertung der Fakten zu lassen, sodass ich innerlich eine Abwehrhaltung empfand – nicht gegen Wahrheiten, sondern dagegen, indoktriniert zu werden.

Das betrifft nicht nur die Grundthemen des Romans, sondern auch Details. Ein Beispiel möchte ich nennen: Wieso spricht der Erzähler von einer Vergewaltigung Celines, die den „Täter“ mehrfach und auf wiederholte Nachfrage zum Geschlechtsverkehr auffordert und dies auch nicht zurücknimmt, als er sich brutaler als erwartet zeigt? Ja, innerlich wollte sie es nicht, sondern gab es nur sehr überzeugend vor, weil sie sich davon einen taktischen Vorteil versprach. Und dennoch …

Trotz seiner Unzulänglichkeiten wartet Sebastian Fitzeks Thriller „Noah“ mit einem Fingerzeig auf reale Probleme, die wir besser nicht verdrängen sollten, und einer mittleren Portion Spannung auf. Als großes Werk der Weltliteratur wird „Noah“ kaum in die Geschichte eingehen. Mich würde allerdings überraschen, wenn der Roman nicht verfilmt würde. Hilfreich: Man stößt nachts gegen keine Kommode, auf der das Buch liegt, denn die aufs Buch gedruckte Hand leuchtet im Dunkeln.

Kommentare

  1. Also wenn die Hand die ganze Nacht über leuchtet, bin ich von diesem Buch überzeugt...
    Ansonsten kann ich nur hoffen, dass du keine weiteren Bücher des Autors lesen musst oder von gutmeinenden Menschen geschenkt bekommst.

  2. @1, wie intensiv es im Dunkeln leuchtet, hängt wohl davon ab, wieviel Licht das Buch zuvor ausgesetzt war. Es ist nur eine nette Spielerei, keinesfalls ein Taschenlampenersatz.

    Ansonsten ist es nicht nötig, mich des Buches wegen zu bedauern. Vielleicht klingt mein Bericht zu negativ? „Noah“ las sich flüssig und ist weitaus zugänglicher, als ein anderes Werk, dass ich mir zuletzt selbst erwählte. Es hat mich dadurch sogar wieder motiviert, mehr zu lesen. Meines Erachtens ist es wie gesagt kein Meisterwerk der Literatur, aber das kann ja nicht jedes Buch sein. Vom Thriller-Genre erwarten die meisten Leser das wahrscheinlich gar nicht.

  3. Verstehe. Ich hatte der Schilderung tatsächlich entnommen, dass das Buch recht grobe Probleme hat und daher nicht so sehr zu empfehlen sei.
    Aber wenn es etwas unterhalten hat, ist das natürlich eine gute Sache :-)

  4. Och, ich hatte gehofft, das Werk sei auch schon rein äußerlich ein wertvoller Beitrag zur "Energiewende".
    Diesen neuen Noah kenne ich nicht – ein Grund also kein Wort zu ergreifen?
    Es scheint ja ein Werk zu sein, das Rundumschläge durch die Welt versucht – einschließlich des Säens von Verunsicherungen, Ekel und unbeantworteten Fragen.
    Die (anleitende) Darstellung von Gewalt und moralischen Botschaften drängen sich uns täglich zuhauf allein schon im Fernsehen auf – ich würde das nicht noch "nachhaltiger und künstlerisch überhöht" benötigen.
    Mein Fazit: Ein Buch sollte man erst lesen und sich anschließend entscheiden es vielleicht trotzdem noch zu erwerben. Bekommt man es als Geschenk, wird es ungleich schwieriger – man soll es schnell wieder so loswerden, ohne dass es viel Schaden verursacht.
    Besser scheint der Versuch einer Geschenkevermeidung: Ich sage gern: "Ich habe schon alles, was ich brauche – bringt nur euch selber mit (zur Feier), dies ist für mich das Wertvollste."
    Oder, wenn das nicht klappt, weil die Tradition es gebietet nicht mit leeren Händen ... dann:
    "Ich stelle hier ein Sparschwein auf – für arme Kinder und Flüchtlinge ...". Wenn das aber leer bleibt, weil ja jeder der es will auch unter seinem eigenen Namen spenden kann, hilft nur noch der Gutschein für ein Erzeugnis nach eigener Wahl – möglichst ein ganz barer! (Ich bekam nämlich mal einen Blumengruß auf dem Papier, den man nur im 200 km entfernten Kleinmumpel einlösen konnte und auch einen Büchergutschein, den man nur "anonym-unbesehen" in Erfurt ... eben dort, wo die lieben jeweiligen Spender wohnen – was zu vermeiden wäre).
    Gutschein ist nicht unpersönlich, denn man kann das Ergebnis nach eigener Wahl ja nachträglich mit einer ganz persönlichen Widmung ... na gut, die Blümchen eher nicht.

    Xoph

  5. Das mit dem Blumengruß scheint mir ein geschickter Schachzug zu sein, Xoph. Das Einlösen lässt sich gut mit einem Besuch beim gütigen Geber verbinden. Ferner stellt sich die Frage, ob Du die Blumen tatsächlich auf die lange, Pflanzen stressende Fahrt nach Hause mitnehmen willst, oder nicht besser so bald wie möglich einer Wasser fassenden Vase zuführst …

    Martin