Auf dem Mond geht die Erde nicht unter

Durch die panzergläserne Fensterwand über dem Volksparkgrün im Herzen der Hauptstadt flutete die Sonne den Kabinettsaal mit Licht. Die Form des großen Buchenholztisches, ein langgezogenes Oval, war einem Boot nicht unähnlich. Fast mittig auf ihm stand ein kleiner, vergoldeter Kubus mit Zifferblättern an vier Seiten. Um den Tisch herum saßen die Minister auf Lederstühlen – weil der Meeresspiegel bedrohlich anstieg, hatte der Regierungschef zu einer Sondersitzung geladen.

Der Wirtschaftsminister stellte ein erstes Konzept vor: „Bauen wir hochmoderne Gaskraftwerke! Mit denen betreiben wir Hochleistungspumpen, die Hochwasser vom Strand durch Hochdruckrohre weit raus auf die Hochsee drücken.“
Für einem Moment herrschte Stille. Dann sagte die Außenministerin: „Gas ist gerade schlecht, Siegmund.“
„Stimmt“, pflichtete ihr der Regierungschef bei.
„Ich sag ja immer: heimische Kohle“, ergänzte der Bergbauminister, und die Umweltministerin fragte: „Könnte man Turbinen in den Hochdruckrohren installieren, um so den Strom für die Pumpen zu erzeugen?“

Eine andere Idee hatte der Minister für Küstenschutz: „Der Kunststoff von Windeln und Packaging ist ja gottseidank nicht biodegradabel. Anstatt den ans Recycling zu verschwenden, brauchen mir Packaging und Co nur ins Meer zu strudeln. Die Wellen werfen alles ans Land, wo sich das zur wasserdichten Coast Protection auftürmt, die fei zehntausend Jahre hält.“
„Das wäre eine nachhaltige Lösung“, befand die Umweltministerin.
„Nachhaltig oder nicht, das schafft keine Arbeitsplätze, ist ergo unsozial und das geht ja mal gar nicht“, erwiderte die Arbeitsministerin, was der Regierungschef mit einem weiteren „Stimmt!“ bestätigte.
„Gut, dann schockfrosten mir den kompletten Strand halt mit neuen Kühlaggregaten. Das lässt die Wellen zu einer eisernen, undurchdringlichen Coast Protection erstarren“, stellte der Minister für Küstenschutz einen zweiten Plan vor.

„Ein einzelner Wal verdrängt so viel Wasser, das glaubt man gar nicht“, erläuterte der Fischereiminister sein Konzept, „Von denen hat es Tausende im Meer. Ich schlage vor: Wir holen die raus. Schwupp sinkt der Meeresspiegel.“
„Um wie viel?“, fragte der Regierungschef.
„Mindestens“, versicherte der Fischereiminister, „Wenn nicht noch mehr.“
„Die Fangflotte könnte man mit Waltran antreiben“, meinte dazu die Umweltministerin, „Das wäre ökologisch neutral.“
„Aber Kohle ist heimischer“, gab der Bergbauminister zu bedenken.

Die Wissenschaftsministerin, die bis dahin wortlos an einem Butterkeks geknabbert hatte, hüstelte in ihre Faust. Dann sprach sie: „Das ist ja alles schön und gut, was ihr vorschlagt, aber wenn der Meeresspiegel weiter so steigt, reicht das alles nicht, denn dann sind wir bald dreißig, vierzig, siebzig Meter unter der Meeresoberfläche, wie das zur Zeit der Dinosaurier auch war …“
„Das wusste ich nicht“, flüsterte die Außenministerin, „dass Tyrannosaurus ein Meeresbewohner war. Wusstest du das, Erwin?“
„Doch, doch“, meinte der Fischereiminister nickend.
„Lasst mich erst einmal ausreden, ihr seid gleich wieder dran, denn eines ist gewiss, nämlich dass es hier bald sehr, sehr feucht wird, aber wie die Spezialisten in meinem Stab mir versichert haben, gibt es einen Ort, an dem die Erde garantiert nie untergeht, und das ist der Mond, weshalb ich vorschlage, dass wir ein riesiges Raumschiff bauen und zu trockenen Gefilden aufbrechen.“
„Um so hoch zu fliegen, braucht man eine hohe Energiemenge“, warf der Wirtschaftsminister mit erhobenen Augenbrauen ein.
„Ideal wäre heimische Kohle“, gab der Bergbauminister zu Protokoll.
„Man könnte Rotoren am Rumpf montieren, die den Gegenwind in Strom umwandeln“, ergänzte die Umweltministerin.
„Jesusmaria, wenn mir fort sind, bevor die Sintflut kommt, soll mir das recht sein“, stimmte der Küstenschutzminister ein.
Achselzuckend sagte die Arbeitsministerin: „Sozial ist, was Arbeit schafft“, und der Regierungschef verkündete: „Dann ist es beschlossen.“