Universität Potsdam und Bahnhof Golm
Ein nächtliches Fotoexperiment

Kennen Sie Komplex II der Universität Potsdam in Golm? Im oskarprämierten Film „Das Leben der Anderen“ war er zu sehen, denn zu DDR-Zeiten saß hier die Juristische Hochschule Potsdam, die Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit, besser bekannt als Stasi.

Universität, Haus 14 – höchstes Gebäude auf dem Campus

Golms Geschichte begann aber viele Hundert Jahre früher. Der Name ist slawischen Ursprungs und bedeutet Berg, Hügel – der Ort liegt zu Füßen des Reiherberges. Nach den Slawen kamen von Westen deutsche Siedler nach Golm. Auf das Jahr 1289 datiert die älteste urkundliche Erwähnung des Ortes; am 11. April bezeugte der Spandauer Probst Einkünfte der Kirchen in Golm und Bornim.1

Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg bemühte sich nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg erfolgreich, das Land wieder erblühen zu lassen. Er verstand es, Brandenburg im 17. Jahrhundert zu einem toleranten Einwanderungsland für anderswo Verfolgte zu etablieren; so wanderten Juden aus Österreich und Hugenotten aus Frankreich ein. In und um Golm siedelten Schweizer Landwirte.

Seit Mitte der 1840er Jahren durchkreuzt die Eisenbahn zwischen Berlin und Magdeburg das Golmer Luch in Ost-West-Richtung, doch einen eigenen Anschluss mit Bahnhof erhielt Golm erst 1902 mit dem Bau der von Süden nach Norden verlaufenden „Umgehungsbahn“.

Bahnhof Golm mit Güterzug

Die Universität Potsdam existiert seit 1991. Potsdam entwickelte sich nach der deutschen Wiedervereinigung zum wichtigsten Wissenschaftsstandort Brandenburgs; in Golm sind außer der Universität auch Max-Planck- und Fraunhofer-Institute ansässig.

Meine Eltern zogen mit meinem Bruder und mir zur Jahreswende 1995/96 aus der Potsdamer Innenstadt nach Golm. Während es meinen Bruder und mich nach der Schulzeit mit unseren Ausbildungen hinaus in andere Ecken Deutschlands wehte, wohnen meinen Eltern weiterhin hier.

Fotoprojekt

Für Knipstipps erwarb ich in diesem Jahr eine Praktica DPix 9000, den billigsten Fotoapparat des sächsischen Herstellers Pentacon. Auch bei guten Lichtbedingungen ist es nicht ganz einfach, mit der Kamera ein verwacklungsfreies Bild aufzunehmen, in dem gerade Linien auch wirklich gerade abgebildet sind. Bei einem Besuch meiner Eltern setzte ich die Praktica im November aber bei miesen Lichtbedingungen ein.

Einunddreißig Fotos aus Potsdam-Golm – zum Vergrößern anklicken

Ein Foto entstand in der Gaststätte Lindenhof zum Prinzen Heinrich in Potsdam-Eiche, die anderen Bilder alle im Bereich Universität, Bahnhof Golm, Elternhaus. Fünf der Fotos nahm ich in der Abenddämmerung auf, alle anderen Bilder nachts, so bei der Ankunft meines Bruders Gregor nach einer Finanzrecherche-Reise in Polen und auf den letzten Rundgängen mit meinem Hund Migo vor dem Schlafengehen.

Die Fotos knipste ich in Farbe und wandelte sie in Schwarzweißbilder um,2 wobei man „in Farbe“ teils als Übertreibung werten könnte. Extrembeispiel: Die unbearbeitete Aufnahme der Biene mit Waben sieht frisch aus der Kamera so aus: PICT0370.JPG. Mehr war mit der Maximalempfindlichkeit von ISO 800 und der maximalen Belichtungszeit von ¼ Sekunde nicht zu machen.3

Eine Stärke fürs Fotografieren bei Nacht bringt die Praktica allerdings mit: Da sie nur ein Fixfokusobjektiv besitzt, ist sie zum Scharfstellen nicht aufs Erkennen von Kontrasten oder überhaupt irgendetwas angewiesen. Sie stellt gar nicht scharf. Scharf ist stets alles in einer bestimmten, konstanten Entfernung. Manche Kameras, die mit Autofokus arbeiten, lösen erst nach großer Verzögerung aus oder scheitern komplett beim Versuch, Nachtbilder aufzunehmen.


  1. Riedel: Codex diplomaticus Brandenburgensis. Erster Hauptteil, 11. Band, Berlin 1856, Seite 12.
  2. Dass ich beim Konvertieren der Bilder oft starke Kontraste verwendet habe, ist einerseits eine Geschmacksentscheidung, dient andererseits auch der Verringerung der Folgen von Verwacklungen.
  3. Als maximaler Blendenwert ist am Objektiv 1:3,2 vermerkt; in den EXIF-Daten meint mein Bildanzeiger einen maximalen Wert von 1:2,8 zu finden bei einer tatsächlich genutzten F-Zahl von 3. Irgendwo in dem Bereich wird die Wahrheit liegen.
    Als fixe Brennweite ist am Objektiv bei mir 7,5 mm angegeben; auf anderen Fotos des gleichen Modells findet sich die Angabe 6,1 mm. Die EXIF-Daten sagen: 6,47 mm … Schon in der Produktbeschreibung auf der Praktica-Website passten die Angaben der Brennweite (7,53 mm), Kb-äquivalenten Brennweite (30 mm) und des Sensortyps (1/2,3″) nicht zusammen.

Kommentare

  1. Sehr schick! Die Bilder fangen sehr schön ungezwungene Momente ein und haben zum Teil unerwartet hohe Motivqualität. Das schreit nach einer Fortsetzung! :)

  2. Danke! Es hat mir auch Spaß gemacht. Meist dokumentiere ich eher auf längeren Tageswanderungen Dinge an meinem Weg, wo es insofern weniger ungezwungen zugeht, als ich nur kurz an einem Ort verweilen kann (und will), noch einmal umzukehren keine verlockende Option ist, irgend etwas „Wichtiges“ im Bild zu verpassen aber auch nicht. Bei diesem Miniprojekt in kleinem Radius und Alltagsrahmen stellte sich das viel lockerer dar, was ich gern weiterführen möchte.

    Zum „zum Teil“ aus Deinem Kommentar: Tatsächlich merke ich selbst, dass ich noch viel über das Auswählen von Bildern lernen kann. Das fällt mir schwer. Ich vermute, dass das eine Stärke von Meistern ihres Faches ist – nicht nur tolle Ideen, Talent, Technik, Übung beim Schaffen, sondern ebenso der selbstkritische Blick mit der Fähigkeit, sich leicht von dem zu trennen, was ihnen suboptimal gelungen ist. Eine kräftige Portion „Destruktivität“ also, nach der dann aber eben nur Glanzstücke bleiben, statt von anderen auf ein Mittelmaß herabgezogen zu werden. „Weniger ist mehr“, sagt man auch.

    Etwas anderes: Um einem mir heimlich zugesteckten Hinweis, die im Wechsel auftauchenden Ortsnamen Potsdam und Golm könnten bei einem Ortsunkundigen für Verwirrung sorgen, Rechnung zu tragen, folgen Daten zur jüngeren Gemeindegeschichte der Stadt Potsdam und ihres Ortsteils Golm.

    Am 1. April 1939 wurde das vormals unabhängige Golm nach Potsdam eingegliedert, womit es dem Ort Eiche folgte, den dieses Schicksal bereits am 1. Juli 1935 ereilt hatte. Nach dem Krieg fasste man in der neuen DDR ein neuen Plan, demzufolge man Golm und Eiche am 25. Juli 1952 aus Potsdam wieder ausgliederte und zu Eiche-Golm verheiratete. Ein paar Jahre später entschloss man sich dann, ganz getrennte Wege zu gehen, und löste diese Verbindung am 1. Januar 1961. Nach realem Scheitern des real existierenden Sozialismus schloss sich die DDR der Bundesrepublik an, womit sich die Frage stellte: Wenn eine deutsche Wiedervereinigung gelingen kann, ist dann auch eine Potsdamer möglich? Ja, zum Nikolaustag 1993 durfte sich die Landeshauptstadt über Eiche im frisch geputzten Stiefel freuen. Golm konnte sich die Unabhängigkeit knapp 10 Jahre länger bewahren, seine erneute Eingemeindung erfolgte am 26. Oktober 2003.
    (Quelle: Historisches Gemeindeverzeichnis des Landes Brandenburg 1875–2005. Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik, Potsdam, 2006.)

  3. Wieder eine technisch bemerkenswerte Bilderserie – und das alles in 1/4 Sekunden, aus freier Hand. Ich staune beispielsweise über die ausgereifte Biene im Gegensatz zur unbearbeiteten Version. Eine 1/4 Sekunde – wie schnelllebig doch die Zeit geworden ist. Wenn ich bedenke, wie ich damals mit "Pouva-Start" und "Certophot" auf dem Stativ (ich nur daneben) wackelfreie Belichtungsnächte zubrachte ... .
    Offenbar aber schlägt sich die Praktica von Pentagon überhaupt nicht – und deshalb funktioniert sie noch.
    Das Betrachten bleibt aber nicht ohne Folgen, wirft Fragen auf:
    Titelbild = Bild 17: Ist das Rätsel auf der Fassade eine Klaviatur der musischen Fakultät dieser Universität oder ein Baustrichcode oder für NSA-/US-Wissensdurstige eine Botschaft, via Satellit zu lesen? Wie dem auch sei – auf jeden Fall leben hinter dieser Fassade inzwischen "Andere" als damals.
    Bild 27: Das Tier in der Feldmark? Noch vor kurzer Zeit las ich, Potsdam besäße die größte landwirtschaftlich genutzte Fläche im Vergleich zu den anderen Landeshauptstädten. Und heute? Wieso Feldmark? Der gesamte Acker inzwischen gepflastert?

    Es sind dies' nur Eigenbefragungen seitens eines bildbetrachtenden Arbeiters, die keiner Fremdantwort bedürfen.

    Beste Grüße für eine harmonische Adventszeit
    Chris

  4. @3 Chis, der Vergleich mit Pouva-Start und Certophot scheint mir ein bisschen in die Irre zu führen, denn wenn meine kurze Suche im Netz Tatsachen zutage förderte, belichteten die Apparate bei einer Aufnahme jeweils 36 Quadratzentimeter Film. Der Sensor in der Praktica misst nicht einmal 36 Quadratmillimeter, also weniger als ein Hundertstel der Fläche! Dieses Umstandes wegen sieht die digitale Praktica den gleichen Bildwinkel mit einem Objektiv kürzerer Brennweite und kann sich deshalb eine weiter geöffnete Blende bei akzeptabler Schärfentiefe erlauben, womit man bei der kürzeren Belichtungszeit landet. Es gibt aber auch heute Kameras mit viel größeren Bildsensoren, die kaum jemand gegen die kleine Praktica eintauschen wollen würde … vielleicht Hans im Glück.

    Ob die Streifen an Haus 14 eine Nachricht enthalten, habe ich mich auch schon oft gefragt und doch keine Zeit in einen Übersetzungsversuch investiert – wohl auch deshalb nicht, weil ich vermute, dass nichts von Interesse darin steht. Schaut man sich die Wände an, findet man schnell Wiederholungen der einzelnen Tafeln der Verkleidung, teils das gleiche Muster mehrmals nacheinander, dabei zwischendurch nur um 180° gedreht. Das wirkt auf mich untypisch für Text. Aber vielleicht weiß es ein Leser und kann Aufklärung bringen? Ich vermute, dass man mit den Streifen die strenge Form dieses klotzigen Gebäudes einfach auflösen wollte, wie man das auch von Zebras kennt.

    Der Buchstabe „I“ in „In der Feldmark“ ist großgeschrieben, da es sich um einen Namen, einen Straßennamen handelt. Tatsächlich ist die ganze Straße mit einem künstlichen Belag versehen und die Gehwege sind gepflastert. Du weißt das sicher und schreibst ja auch, es bedürfe keiner Antwort. Da aber nicht jeder Leser vor Ort wohnt, ist eine Replik darauf vielleicht doch für jemanden nützlich.

    Schöne Grüße
    Martin