Von Pinneberg nach Norderstedt

Detail der Pinneberger Drostei

Pinneberg

Im Herzen Pinnebergs steht die Drostei. Was ist eine Drostei? Der Amtssitz eines Drosten. Und was ist ein Drost? Drost ist eine norddeutsche Bezeichnung für einen Statthalter, einen Stellvertreter des Herrschers in einem Teil seines Reiches. Das Wort ist verwandt mit Truchsess, welches Lesern und Filmfreunden aus dem Königreich Gondor in „Der Herr der Ringe“ bekannt sein könnte.

So schließt sich die Frage an, wessen Statthalter der Drost in Pinneberg ist oder war: Die Herrschaft Pinneberg, welche übrigens auch die heute zu Hamburg gehörende Stadt Altona umfasste, unterstand von 1640 bis zum Deutsch-Dänischen Krieg 1864 den dänischen Königen.

Der Gedanke, Pinneberg sei eine alte, bedeutende Stadt, liegt da nahe, trifft aber nicht zu. Erst 1875 erhielt Pinneberg Stadtrechte. Als 1844 die Eisenbahnstrecke Altona–Kiel eröffnet wurde, lebten im Flecken Pinneberg rund 1.000 Menschen. Heute zählt die Stadt mehr als 40.000 Einwohner, wobei zunächst die Industrialisierung, später Fluchten im Zweiten Weltkrieg ausgebombter Hamburger sowie der Bürger aus den verlorenen Ostgebieten zum Bevölkerungswachstum beitrugen.

Drostei in Pinneberg Die Fenster der eingerüsteten Fassade erinnern mich an den Berliner Palast der Republik. Markttreiben auf dem Drosteivorplatz Licht und Schatten am Pinneberger Rathaus Einer bedauernswerten Ente schwimmt in der Pinnau ein Fuß davon. Ahornblätter
Ansichten Pinnebergs

Pinneberg ist Kreisstadt. Der Kreis Pinneberg deckt sich in etwa mit der historischen Herrschaft Pinneberg. Seit seiner Bildung 1867 verlor der Kreis mehrfach Gebiete, vor allem an das heutige Bundesland Hamburg. Zuwachs erhielt der Kreis Pinneberg in Form der einzigen deutschen Hochseeinsel, Helgoland.

Pinnausiedlung und Tangstedt

Vom Pinneberger Stadtzentrum aus wanderten Migo und ich am 19. September zunächst an der begradigten Pinnau entlang, einem Nebenfluss der Elbe. Das Gebiet, das wir durchquerten, ist zweifellos eine vom Menschen gestaltete Kulturlandschaft.

Nachdem wir die Bundesautobahn 23 unterquert hatten, kamen wir an einer Baumgruppe vorbei. Ein Blick in das Dickicht offenbarte kleine, beschattete Gewässer – ein uriges Fleckchen Natur, dass anscheinend eine wechselvolle Geschichte hinter sich hat. Während das Messtischblatt Pinneberg der preußischen Landesaufnahme hier noch nasse Wiesen verzeichnet, ist an der gleichen Stelle auf einer Karte vom Beginn der 1960er Jahre, von der ich ein Foto auf Ebay fand, eine Siedlung eingezeichnet.

Dem Namen eines noch bestehenden Weges nach handelte es sich um die „Pinnausiedlung“. Im Netz findet sich zu diesem Stichwort nicht viel – eigentlich nur die Notiz, dass die Siedlung durch die große Sturmflut 1962 hart getroffen wurde und durch Rettungskräfte mit Booten evakuiert werden musste. So spekuliere ich, dass man sie infolge dieser Katastrophe aufgab und abbrach.

Die begradigte Pinnau Teich im Dickicht, wo einst die Pinnausiedlung lag Kuh „Mutti“ in Tangstedt (Kreis Pinneberg)
Ansichten von Pinneberg bis Tangstedt

Es gibt zwei nicht weit voneinander entfernte Orte namens Tangstedt. Auf unserem Weg lag das kleinere der beiden Tangstedts, jenes im Kreis Pinneberg, das mit einer urkundlichen Erwähnung aus dem Jahr 1242 als das ältere der beiden Namensvetter gilt.

Hasloh

Wenn auch die Bäume am Wegesrand einen anderen Eindruck vermitteln mögen, ist der Kreis Pinneberg wie viele Gegenden im Nordwesten und Norden Deutschlands arm an Wäldern. Seine Forstfläche hat einen Anteil von 8,8 % am Land. Zum Vergleich: Als am geringsten bewaldeter Landkreis Brandenburgs besitzt der Landkreis Prignitz immerhin 22,9 % Waldfläche.

Dass es auch um Pinneberg einst anders aussah, lassen nicht nur alte Karten vermuten. Im Namen Holsteins, dem südlichen Landesteil Schleswig-Holsteins, in welchem Pinneberg liegt, steckt das Wort holt für Holz im Sinne von Gehölz, Wald.

Appell an Hundehalter Weg durchs südliche Holstein Macht dieser Hund Werbung für die FDP? Peter-Lunding-Schule in Hasloh
Ansichten von Tangstedt bis Hasloh

Jüngere Leser, die nicht aus Schleswig-Holstein kommen, werden sich angesichts des Schriftzugs im Hundefoto aus Hasloh vielleicht fragen: „Was heißt das, F.D.P.? Füttere den Papierkorb?“ Plausibel, aber falsch. Die FDP war einmal eine bundespolitisch bedeutsame Partei, wie Tobias Mann bereits im Januar 2011 auf dem Satire-Gipfel besser besang, als ich es je könnte: Aufzeichnung auf Youtube.

In Schleswig-Holstein sitzt die FDP mit – und wie viele sagen: dank – dem bekannten Spitzenkandidaten und Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki weiterhin im Landtag.

Norderstedt

In die Norderstedter Innenstadt gelangten Migo und ich durch Syltkuhlen, wo rechts und links des Weges viele Pferde grasten oder an Strohballen knabberten. Ein Kind bekam Reitunterricht. Es überraschte mich irgendwie, dort und auch sonst bei unserer mehrtägigen Reise in den Hamburger Westen und Norden so viele Pferde zu sehen, mehr als im richtig ländlichen Raum der Prignitz. Dabei ist es eigentlich klar: Das sind weder Wildtiere noch landwirtschaftliche Arbeitstiere. Diese Pferde werden als Reittiere für Freizeitentspannung oder Sport gezüchtet, und wo es viele Menschen gibt, sind viele Menschen, die reiten wollen.

Pferde Kunst im öffentlichen Raum Norderstedts Paul-Gerhardt-Kirche in Norderstedt Klares Wasser der Moorbek Donnerstags ist Wochenmarkt in Norderstedt-Mitte. Moorbekrondeel im Stadtzentrum
Ansichten Norderstedts

Die Stadt Norderstedt – nach Einwohnern derzeit fünftgrößte des Bundeslandes Schleswig-Holstein – gibt es erst seit dem 1. Januar 1970. Sie entstand durch Fusion der Gemeinden Friedrichsgabe und Garstedt aus dem Kreis Pinneberg mit Glashütte und Harksheide aus dem Kreis Stormarn. Pinneberg oder Stormarn – welchem Kreis wurde die neue Stadt zugeschlagen? Wenn zwei sich streiten … freut sich der Kreis Segeberg.

Wir wanderten durch keinen der alten Dorfkerne, sondern direkt nach Norderstedt-Mitte, das keine 40 Jahre alt ist, am schleswig-holsteinischen Feuerwehrmuseum vorbei und an der Moorbek entlang zum Markt am Rathaus. Mit der seit 1996 von hier verkehrenden U-Bahn verließen wir die Stadt wieder ins südlich angrenzende Hamburg.

Detail am Norderstedter Rathaus

Kommentare

  1. Die Pinneberger Drostei und die Schule in Hasloh machen einen guten Eindruck. Die Herleitung des Begriffs "Drosterei" ist interessant. Heutzutage wenig bekannt muss der Begriff vor ein paar Jahrhunderten noch ein wichtige Rolle gespielt haben.
    Davon abgesehen frage ich mich, wie du es geschafft hast, den Wochenmarkt in Pinneberg zu fotografieren, ohne von jemandem argwöhnisch beäugt zu werden.

    Was mir noch auffällt: Wie bei meinen Fotos nicht anders, ist das Geradehalten der Kamera praktisch ein Ding der Unmöglichkeit, sodass ich dazu übergegangen bin, Bilder mit Gebäuden im Nachhinein um wenige Grad zu drehen. Ich staune immer wieder, wieviel das ausmacht.

  2. @1 Beim Fotografieren der Märkte in Pinneberg und Norderstedt befand ich mich selbst nicht wirklich auf den Märkten, sondern am Rand und fotografierte nicht aus nächster Nähe, sondern im nahen Telebereich. Ich könnte mir vorstellen, dass die Aufmerksamkeit von jemandem, der selbst auf dem Markt ist, auf den Markt beschränkt ist, und ich daher mit der Kamera kaum jemandem bewusst ins Auge fiel. Meine Absicht war aber nicht, nichts ahnende Leute zu porträtieren, sondern einfach den Umstand festzuhalten, dass dort – wie in Perleberg – donnerstags Marktzeit ist. Um ein echtes Marktgefühl einzufangen, müsste man sich wohl mutig ins Geschehen hineinwerfen und alles aus der Nähe einfangen.

    In der fast leeren U-Bahn, wo ich auch niemanden fixierte, aber halt doch wenige Leute am anderen Wagenende saßen, erntete ich auf der Rückfahrt einmal einen argwöhnischen Blick. Aber was soll man machen, wenn man die U-Bahn abbilden möchte – solange mit ihr fahren, bis man irgendwann zufällig allein im Wagen ist?

    Zumindest in unserer Kultur ist das Fotografieren anderer Menschen ohne zu fragen im ethischen Graubereich. Wenn Du Dich dafür interessierst, wie andere das machen, empfehle ich dieses kurze Video mit dem hoch geschätzten Moriyama Daidō auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=JKbFAPq75UI

    Dein Hinweis auf die Möglichkeit des nachträglichen Bilddrehens ist ein guter. Manchmal mache ich davon auch Gebrauch. Ich bin nicht sicher, ob Du wegen des Farbfotos der Drostei darauf kamst? Es ist tatsächlich ein bisschen verdreht, ein Viertel Grad etwa. Ich denke aber, dass es noch viel schiefer aussieht, was an der Asymmetrie der Bäume links und rechts liegen mag, vielleicht auch an den Schatten im Vordergrund und unter den Bäumen links.

    Vielen Dank für Deine Anmerkungen
    sagt Martin

  3. Ich denke mal, dass man es als Fotografierender nicht sehr leicht hat, wenn man niemandem auf die Füße treten will. Ich denke aber auch, dass es toleriert werden muss, wenn man eine größere Szene einfängt und abgebildete Personen einzeln keine Rolle spielen.

    Danke für den Link zu dem Video. Die Grundideen finde ich nicht schlecht, aber gerade abends, wenn es interessant wird, sieht man mit "irgendeiner" Kamera nicht sehr viel.

    Das Bilddrehen ist mir bei dem Foto der Schule aufgefallen. Die Drosterei wirkt zwar auch etwas schief, aber wie du schon sagst, ist schief relativ. :-)

  4. Kleine Verbesserung: Anfangs unterquert ihr nicht die A27, sondern die A23 ;)

  5. Danke schön @4, ich habe es berichtigt.