Von Bundestag und Schweinestall

Bundestag und Schweinestall sind zwei Begriffe, die man nicht sofort miteinander assoziiert – es sei denn, man meint im Wirken der Volksvertreter eine „Sauerei“ zu erkennen und beschwert sich entsprechend darüber. Doch Vorsicht: Gegen eine Person des politischen Lebens gerichtet wird so eine Beleidigung besonders schwer bestraft.

Aber warum werden aus dem Tierreich gerade Bezeichnungen von Schweinen – ob „Schwein“, „Sau“ oder „Ferkel“ – als besonders beleidigend empfunden? Schweine gehören unter unseren Haus- und Nutztieren zu den intelligentesten. Sie sind soziale Wesen und, wenn die Haltungsbedingungen es zulassen, hygienisch. Ob sich die Kurbranche das Moorbad von den Schweinen abgeschaut hat, vermag ich nicht zu beurteilen, jedenfalls dient das Suhlen im Schlamm bei Mensch und Schwein der Gesundheit.

Interessant ist des Weiteren die Frage, welche Folgen aus dem Umstand, dass Schweine als Beleidigung bemüht und empfunden werden, für den Umgang des Menschen mit Schweinen erwachsen. Die Vermutung liegt nahe, dass wir bei Tieren, mit denen wir Erniedrigung und unanständiges Verhalten verbinden, weniger Hemmungen gegen eine schlechte Behandlung haben, als bei solchen, die für Klugheit oder Edelmut stehen.

Doch zurück zum Deutschen Bundestag: Im Herbst 2012 kam dieser mit Schweineställen in Berührung, als ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Tierschutzgesetzes behandelt wurde. Unter anderem geht es in diesem um die in Deutschland alltägliche Praxis, männliche Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren – das heißt, die Tiere bei vollem Bewusstsein und Schmerzempfinden aufzuschlitzen sowie die Hoden abzuschneiden oder auszureißen. Wer käme auf den Gedanken, so etwas seinem Hund oder seiner Katze anzutun? Hinter fast jedem zweiten Schnitzel auf dem Teller steckt dieses Schicksal allerdings.

Falls Sie wissen möchten, wie das aussieht und wie sich die Schmerzens- und Angstschreie der kleinen Schweine anhören, finden Sie Videoaufzeichnungen zum Beispiel auf Youtube: Video 1, Video 2. Um es klar zu sagen: Es handelt sich dabei um keine heimlichen Aufnahmen krimineller Machenschaften, sondern um eine hierzulande legale Praxis, die allein in Deutschland circa 20 Millionen Mal im Jahr stattfindet. Nichtsdestotrotz lassen sich die Youtube-Videos nicht ohne Anmeldung und Altersbestätigung ansehen, da Youtube der Meinung ist, dass dieser Alltag zu verstörend ist, um jungen Menschen die Wahrheit zuzumuten.

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Zitate aus: Drucksache 17/10572

Im Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes der Bundesregierung stand nun:

Gemäß § 5 Absatz 1 Satz 1 darf an einem Wirbeltier ein mit Schmerzen verbundener Eingriff nicht ohne Betäubung vorgenommen werden. § 5 Absatz 3 Nummer 1a enthält eine Ausnahmeregelung für das Kastrieren von unter acht Tage alten männlichen Schweinen. Diese Ausnahmeregelung wird aufgehoben. Gemäß der Übergangsregelung in § 20 Absatz 1 soll sie aber noch bis zum 31. Dezember 2016 anwendbar sein. Die Durchführung des Eingriffs ohne Betäubung ist für das Ferkel mit Schmerzen verbunden. Gemäß § 1 Satz 2 darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Inzwischen stehen mit der Durchführung des Eingriffs unter Narkose, der Immunokastration oder dem Verzicht auf die Kastration durch Ebermast verschiedene Alternativen zur betäubungslosen Kastration zur Verfügung, die die Belastung der Tiere reduzieren und auch die Praktikabilität und den Verbraucherschutz berücksichtigen. Ein vernünftiger Grund, Ferkeln durch den Verzicht auf eine Betäubung bei der chirurgischen Ferkelkastration Schmerzen zuzufügen, besteht daher nicht mehr.

Die Bundesregierung – eine Koalitionsregierung aus CDU, CSU und FDP – wollte also die bisherige Praxis der betäubungslosen Kastration ab 1. Januar 2017 verbieten lassen. Die Gesetzgebungsfunktion übt in Deutschland hauptsächlich der vom Volk direkt gewählte Bundestag aus. So wurde der Entwurf der Bundesregierung dort am 28. September 2012 in einer ersten Lesung behandelt.

Erste Beratung im Bundestag

Zitate aus: Plenarprotokoll 17/196

Im Folgenden greife ich auf die Ferkelkastration bezogene Redeteile der Bundestagsberatung heraus. Der Volltext ist auf der Website des Deutschen Bundestages abrufbar. Unter dem Tagesordnungspunkt 13 sprach zuerst der Abgeordnete und Staatssekretär Peter Bleser von der CDU:

Meine Damen und Herren, neben der Umsetzung [der EU-Versuchstierrichtlinie] sieht der Gesetzentwurf, den wir heute einbringen, weitere Maßnahmen im Bereich des Tierschutzes vor. Dazu gehört unter anderem das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration ab 2017. Wir sind der Meinung, dass mit der Ebermast, der Immunokastration oder der Durchführung des Eingriffs unter Narkose Alternativen vorhanden sind, die die Belastung der Tiere reduzieren.

Heinz Paula von der SPD sagte in seiner Rede:

Ferkel sollen doch tatsächlich erst in Zukunft nicht mehr betäubungslos kastriert werden. Man stelle sich vor: Millionen von Ferkeln werden bis 2017 sinnlos traktiert, obwohl es – Herr Staatssekretär hat darauf hingewiesen – eine Fülle von Ersatzmethoden gibt, die um ein Vielfaches tiergerechter wären.

Hans-Michael Goldmann von der FDP sagte:

Wir müssen aber auch fair sein und zur Kenntnis nehmen, dass alle anderen Länder in Europa – außer vielleicht die Niederlande oder Österreich – die betäubungslose Kastration erst 2018 oder noch später verbieten wollen. Wir sind Vorreiter in diesem Punkt.

Alexander Süßmair, Abgeordneter für Die Linke, sagte:

Für uns von der Linken sind folgende zehn Punkte besonders wichtig: […] drittens dass unverzüglich die betäubungslose Ferkelkastration verboten wird

Friedrich Ostendorff von Bündnis90/Die Grünen sagte in seiner Rede:

Das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration ab 2017 kommt viel zu spät. Weitere 100 Millionen Ferkel werden der schmerzhaften Kastration ohne Betäubung ausgesetzt.

Sollte man wirklich wie Hans-Michael Goldmann von einer Vorreiterrolle sprechen, wenn man bereits selbst erkannt hat, dass einem mit Österreich und den Niederlanden zwei Nachbarländer voraus sind? Erinnert man sich außerdem daran, dass mit der Schweiz mindestens ein drittes Nachbarland die betäubungslose Ferkelkastration längst verboten hat, steht es doch eher schlecht um die eigene Vorreiterrolle.

Wie auch immer – wenn es den Tieren ab 2017 endlich besser ergehen soll, gönnt man den Abgeordneten von CDU, CSU und FDP die selbstverabreichten Schulterklopfer. Ein Detail war jedoch merkwürdig. Peter Bleser beließ es nämlich nicht bei den oben zitierten Worten, sondern sprach solange weiter, dass die Vizepräsidentin des Bundestages Katrin Göring-Eckardt sich irgendwann genötigt fühlte, ihm ein Zeichen zu geben, dass er die Redezeit bereits überschritten hatte. Peter Bleser von der CDU bemerkte:

Die Präsidentin piepst schon.

Doch das eigentlich Merkwürdige kam vorher:

Bis 2017 sind es noch vier Jahre. Ob es dann zu Beginn oder zum Ende des Jahres so weit ist, wird sicher hier im Bundestag noch zu entscheiden sein.

Merkwürdig sind diese Worte, weil Peter Bleser Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist. Das ist jenes Ressort, welches den Gesetzentwurf erarbeitet hat, in dem eindeutig der 31. Dezember 2016 als Schlussstrich für die betäubungslose Ferkelkastration genannt wird. Ausgerechnet der Staatssekretär, der das Papier hätte verteidigen müssen, unterminierte es en passent in einem Nebensatz, indem er einen späteren Termin im Jahr 2017 ins Spiel brachte.

Agrarausschuss

Zitate aus: Drucksache 17/11811

Nach der ersten Beratung im Plenum des Bundestages nahm sich der Bundestagsausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Gesetzes an. Das Plenum ist die große Bühne für schöne Reden, in den Ausschüssen wird die eigentliche Arbeit gemacht, so sagt man.

Im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sitzen kompetente Leute wie Hans-Michael Goldmann von der FDP, Friedrich Ostendorff von Bündnis90/Die Grünen, Heinz Paula von der SPD und Alexander Süßmair für Die Linke. Alles Herren, die uns bereits von ihren Reden im Plenum bekannt sind. Hans-Michael Goldmann, der die eigene vermeintliche Vorreiterrolle betonte, sitzt dem Ausschuss vor.

Was kommt heraus, wenn sich Abgeordnete der Regierungskoalition, welche die 2017 hochhalten, und Abgeordnete der Opposition, die zügiger handeln wollen, zur konstruktiven Arbeit zusammensetzen? Gibt es einen Kompromiss oder drücken die Regierungsparteien mit ihrer Mehrheit den eigenen Entwurf durch? Beim Ringen darum schöpfen die Abgeordneten nicht nur aus sich selbst, sondern beziehen den in Petitionen geäußerten Wunsch der Bevölkerung mit ein, beispielsweise das Anliegen:

das betäubungslose Kastrieren männlicher Ferkel zu verbieten

Glück für die Schweine und Abgeordneten: Der Wunsch der Bevölkerung deckt sich mit den Plänen der Regierung und Reden der Parlamentarier. So schön kann Demokratie sein. Hier bot sich fürs Parlament die Gelegenheit, seine Rolle als Volksvertretung tatsächlich sichtbar zu pflegen, heißt es doch ansonsten zu den meisten Petitionen:

Den Anliegen der Petentinnen und Petenten wurde überwiegend nicht entsprochen.

In der Beschlussempfehlung des Ausschusses findet sich zur Ferkelkastration hingegen diese Formulierung:

Berücksichtigung fand insbesondere das Anliegen, die betäubungslose Kastration von Ferkeln – ab dem Jahr 2019 – zu verbieten

Hoppla! Den Wunsch der Petenten, die betäubungslose Ferkelkastration zu verbieten, berücksichtigte man, indem man das selbst eingebrachte Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration von 2017 auf 2019 verschob?

Die Formulierung ist allerdings geschickt; das muss man den Ausschussmitgliedern lassen. Liest man jenen Satz mit wohlwollender Naivität, könnte man den Eindruck gewinnen, der Zeitpunkt 2019 sei das Anliegen der Petenten gewesen. Dem ist nicht so und die Gedankenstriche stehen nicht aus Versehen in jenem Satz: Sie markieren einen Zusatz, einen aus anderer Quelle inspirierten Einschub.

Ein Herz für Schweine?

Bevor ich auf den weiteren Verlauf im Bundestag komme, möchte ich aus einem Interview mit dem beliebten, ehemaligen Bundesaußenminister und FDP-Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher zitieren, das Hans-Ulrich Jörges und Axel Vornbäumen im Dezember 2012 für das Magazin Stern führten. Ich entnahm es einer Pressemitteilung auf liberale.de, einem gemeinsamen Portal der FDP-Bundespartei, FDP-Bundestagsfraktion und Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Stern: „Herr Genscher, Sie haben eine schwere Operation hinter sich und werden im neuen Jahr 86. Wie geht es Ihnen gesundheitlich?“
Genscher: „Ich fühle mich gut. Dankbar bin ich, dass die Ärzte ein ernstes Problem mit meinem Herzen gelöst haben. Aber es war gottlob keine große Operation, sondern ein minimalinvasiver Eingriff, bei dem mir eine neue Herzklappe eingesetzt wurde.“
Stern: „Ihre Brust wurde nicht geöffnet?“
Genscher: „Nein, die neue Herzklappe wurde im Schritt eingeführt.“
Stern: „Eine künstliche Herzklappe oder eine natürliche?“
Genscher: „Eine Herzklappe vom Schwein.“
Stern: „Dieses Herz schlägt offenbar wieder kraftvoll, denn Sie kämpfen wie ein Löwe für Europa …“
Genscher: „… und für die FDP.“

Hans-Dietrich Genscher kann für Europa und für die FDP kämpfen, weil er die Herzklappe eines Schweines in seinem Herzen trägt. Leider ist der FDP-Bundestagsfraktion das Wohlergehen von Schweinen offenbar nicht Herzensangelegenheit genug, um diese Tiere alsbald vor der systematischen Tierquälerei betäubungsloser Kastrationen zu schützen.

Zweite und dritte Beratung im Bundestag

Zitate aus: Plenarprotokoll 17/214

Die zweite und dritte Beratung im Bundestag fand am 13. Dezember 2012 praktisch als eine Veranstaltung statt. Es mag an der nächtlichen Uhrzeit oder an der Enttäuschung über die Entwicklung im Ausschuss liegen, dass die Redebeiträge besonders zahlreich von Zwischenrufen unterbrochen wurden.

Weder die zuständige Ministerin Ilse Aigner von der CSU, noch ihr Staatssekretär Peter Bleser von der CDU, der den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der ersten Lesung vorstellte, fühlten sich berufen den Sinneswandel ihrer Parteien zu erläutern. Stattdessen sprach Dieter Stier von der CDU für die Unionsfraktion:

Mit der Förderung von Modell- und Demonstrationsvorhaben in Höhe von 21 Millionen Euro stellen wir bis zum Jahr 2016 die Weichen für die Weiterentwicklung eines praktikablen, forschungsbasierten Tierschutzes in der Landwirtschaft. Wir unterstützen uneingeschränkt die Bemühungen der Bundesregierung und der Wirtschaft, auf der Grundlage dieser Forschungsprojekte praxistaugliche Alternativen, insbesondere zur betäubungslosen Ferkelkastration, zu entwickeln. […] Die betäubungslose Ferkelkastration soll noch bis Ende 2018 Bestand haben. Ein Bericht über praxistaugliche Alternativen soll von der Bundesregierung bis 2016 vorgelegt werden.

Die Union verschiebt also den Stopp der betäubungslosen Ferkelkastration und verspricht mehrere Millionen Euro Steuergelder in die Entwicklung von Alternativen zu stecken, die es laut ihrer eigenen Darstellung im Gesetzentwurf und der ersten Bundestagsberatung längst gibt. Werden sich damit die Gemüter der enttäuschten, steuerzahlenden Bürger mit Sinn für den Tierschutz besänftigen lassen?

Von der SPD-Fraktion sprach Heinz Paula:

[Bundesministerin] Aigner kündigt ein Ausstellungsverbot von Qualzuchten an. Was macht Ihre Koalition? Das Verbot wird gestrichen und die Verantwortung an die Fachverbände weitergegeben. […] Zweitens. Aigner verkündet: Schluss mit dem Schenkelbrand bei Pferden. Die eigene Koalition sagt: Diese Verbrennung dritten Grades bleibt. […] Dritter Punkt. Aigner verkündet: Schluss mit der betäubungslosen Ferkelkastration. Die Koalition sagt dazu, Frau Aigner: Ferkel dürfen weiterhin ohne Betäubung kastriert werden. Dabei gibt es längst zig Alternativmethoden: Ebermast, Improvac, Isofluran. Der Impfstoff Improvac ist in über 50 Ländern zugelassen, wird dort täglich angewendet und hat sich bestens bewährt. […] Auch Wirtschaft und Handel sind längst einen Schritt weiter. Sie wissen es doch: Carrefour, Lidl und Rewe bieten in Belgien nur noch Fleisch von nicht kastrierten Schweinen an.

Heinz Paula zitierte auch die evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers mit den Worten …

Unabdingbar ist es darum, bei Haltung, Transport und Schlachtung von Tieren die Angst-, Schmerz- und Leidfreiheit zu garantieren und alles menschlich und technisch Mögliche dafür zu tun und bereitzustellen.

… um dann die Unionsabgeordneten anzusprechen:

Kolleginnen und Kollegen der Union, besinnen Sie sich doch bitte einmal auf das C in Ihrem Parteinamen, christlich, und handeln Sie vor allen Dingen entsprechend.

Aus der FDP sprach Hans-Michael Goldmann:

Ich bin ein Liberaler. Deswegen bin ich stolz darauf, dass in diesem Gesetz, wie es in den Koalitionsverhandlungen festgehalten wurde, der Gedanke der Eigenverantwortung gestärkt wird. Ich möchte nicht, dass der Staat oder der Kontrolleur oder der Veterinär – mein Berufsstand – darüber bestimmt, was Tierschutz ist.

Hans-Michael Goldmann ist zwar nach eigenem Bekunden ein Freund der Tiere, argumentierte hier aber gegen staatliche Mindeststandards beim Tierschutz. Des Weiteren sagte er:

Nun noch einmal zur Kastration: Es ist in Ordnung, wenn wir zu anderen Methoden als die kommen, die wir im Gesetzentwurf verankert haben. Warum denn nicht? Bitte schön! NEULAND praktiziert sie schon jetzt, aber NEULAND hat einen verschwindend geringen Marktanteil, weil der Verbraucher zum Teil nicht bereit ist, den Preis zu zahlen, der notwendig ist.

Hans-Michael Goldmann unterstellte, dass ein nennenswerter Anteil der Verbraucher nicht bereit sei, die für einen Verzicht auf die betäubungslose Ferkelkastration notwendigen Zusatzkosten zu tragen. In der Begründung ihres Gesetzentwurfes bezifferte die Bundesregierung die auf den Verbraucher umgelegten zusätzlichen Kosten durch eine Narkose bei der Kastration auf circa 0,04 bis 0,10 Euro pro Kilogramm Schweinefleisch.

Der Preis eines Schnitzels würde demnach bei der fraglichen Änderung um etwa 1 bis 3 Cent steigen. Kann Hans-Michael Goldmann mir deutsche Konsumenten zeigen, die nicht bereit wären einen einzigen Cent mehr zu bezahlen, wenn dafür das Schwein nicht ohne Betäubung aufgeschlitzt und kastriert wird? Vielleicht findet er diese Leute ja unter seinen Kollegen von der FDP – ich kenne keinen.

Seine Ausführungen zu diesem Thema schloss er mit den Worten:

Ich meine, beim Thema Kastration sind wir auf einem guten Weg.

Für Die Linke fasste Alexander Süßmair den Verlauf des Verfahrens aus seiner Sicht zusammen:

Man hätte die Chance nutzen können, eine umfassende Novellierung, Anpassung, Aktualisierung und Modernisierung des deutschen Tierschutzrechts vorzunehmen. Dazu gibt es wahrlich ausreichend Bedarf.
Das ist ja auch das, was die Ministerin eigentlich tun wollte. Vor über einem Jahr hat sie das angekündigt, und im Sommer gab es den Gesetzentwurf. Der Bundesrat, die Zivilgesellschaft und die Opposition haben dann Änderungsbedarf im Interesse des Tierwohls angemeldet.
Was ist dann passiert? Dann haben wir im Ausschuss von CDU/CSU und FDP einen Änderungsantrag bekommen, mit dem letztlich alles gestrichen wurde, was zu einer entscheidenden Verbesserung des Tierschutzes hätte beitragen können.

Er führte außerdem Inhalte eines Entschließungsantrages auf, den seine Fraktion zur Abstimmung in der dritten Beratung einbrachte, darunter:

Wir wollen ein unverzügliches Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration, weil es geht, und der Käfighaltung von Geflügel. Wir wollen keine Anbindehaltung bei Rindern und keine Verstümmelungen mehr von Geflügel und Schweinen.

Renate Künast erinnerte im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an § 1 des Tierschutzgesetzes:

Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

Dann sagte sie:

Fakt ist: Täglich wird systematisch Leid zugefügt, nämlich in der Massentierhaltung […] Wo ist der Tierschutz, frage ich mich, wenn die Tiere so lange zurechtgeschnitten werden, bis sie in die Ställe und Käfige passen, wenn es Akkordschlachtungen gibt? […] Sie loben das Verbot der Ferkelkastration als toll. Niedersachsen macht das 2016. Nicht einmal dazu haben Sie den Mut und setzen ein paar Jahre drauf.

Als letzter Redner des Tagesordnungspunktes trat Johannes Röring von der CDU auf. Zur betäubungslosen Ferkelkastration äußerte er sich nicht, doch folgende Worte seien wiedergegeben:

Es ist wirklich gut, dass die Plenardebatten aufgezeichnet werden, insbesondere für die vielen Bäuerinnen und Bauern in Deutschland. So können sie ganz genau nachlesen, was heute von dieser Stelle aus im Deutschen Bundestag gesagt wurde. Ich empfehle das auf jeden Fall.

Auch anderen Bürgern sei die Lektüre ans Herz gelegt, möchte ich da ergänzen.

Der Gesetzentwurf wurde in der Version des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz angenommen. Änderungs- und Entschließungsanträge der Opposition sowie der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Tierschutzgesetzes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhielten keine Mehrheiten.


Am 1. Februar 2013 ließ der Bundesrat das Gesetz passieren, ohne den Vermittlungsausschuss anzurufen. Nach Unterzeichnung durch Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesministerin Ilse Aigner wurde das Dritte Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes am 12. Juli im Bundesgesetzblatt verkündet.

Zu begrüßen ist, dass es einen Stopp betäubungsloser Ferkelkastrationen in Aussicht stellt. Das Jahr 2019 ist besser als 2020 oder überhaupt kein Ende dieser Quälerei. Allerdings werden durch das Verschieben von 2017 auf 2019 voraussichtlich 40 Millionen Schweine zusätzlich – ein Eber auf jeden deutschen Mann vom Neugeborenen bis zum Greis – bei vollem Bewusstsein ohne Schmerzausschaltung auf deutschen Bauernhöfen aufgeschlitzt und kastriert.


Am 29. November 2018 hob der Bundestag mit Mehrheiten von CDU/CSU, SPD und AfD das ab 2019 geltende Verbot betäubungsloser Ferkelkastrationen wieder auf, sodass männliche Schweine weiterhin dieser schmerzhaften Prozedur unterzogen werden. Am 14. Dezember 2018 ließ der Bundesrat dies ohne Einberufung des Vermittlungsausschusses passieren. Nach Unterzeichnung durch Ministerin Klöckner, Kanzlerin Merkel und Präsident Steinmeier wurde es am 20. Dezember im Bundesgesetzblatt verkündet.