Alterntativtexte im Fotoalbum

Die Auszeichnungssprache HTML bildet eine bedeutsame Grundlage des Webs. Das Gerüst der überwiegenden Mehrheit der Webseiten wird in HTML oder dem nur in technischen Details abweichenden XHTML ausgeliefert. Das gilt beispielsweise für diese Seite, die Sie gerade lesen.

HTML bietet dem Autor einer Webseite die Möglichkeit, Bilder einzubinden. Falls die Bilder nicht allein einem dekorativen Zweck dienen, sondern für den Inhalt der Seite von Bedeutung sind, verlangt der HTML-Standard dafür einen Preis.

Zum rein visuellen Medium Bild muss in HTML ein Alternativtext angegeben werden. Auf diesen Alternativtext wird zurückgegriffen, wenn ein Leser das Bild nicht sehen kann – sei es aus technischen oder körperlichen Gründen. Doch ist die Forderung eines Alternativtextes stets sinnvoll?

Schlagwort Barrierefreiheit

Ein wichtiges Schlagwort im Web lautet Barrierefreiheit. Das Web soll allen Menschen möglichst leicht zugänglich sein, Detlef Durchschnittsbürger ebenso wie Blinden. Man soll Webseiten sowohl auf dem kleinen Bildschirm eines Mobiltelefons in der Pampa als auch im voll ausgestatteten Heimkinosaal mit Hoch­geschwindigkeits­internet­zugang genießen können.

Der Alternativtext zum Bild ist eine von vielen Maßnahmen für Barrierefreiheit. Meist wird in HTML dafür das Attribut alt des Elements img eingesetzt. Der Zweck ist, bei Ausfall der visuellen Darstellung von Bildern den Inhalt der Webseite unverändert zu erhalten.

Idealerweise bekommen Nutzer nicht einmal mit, wenn ihnen ein Bild entgeht, weil der Alternativtext sie mit dem kompletten für die Seite relevanten Informationsgehalt des Bildes versorgt. Wie man einen solchen Alternativtext zu Bildern verfasst, wird extra in einem umfangreichen Dokument mit zahlreichen Beispielen erläutert: Techniques for providing useful text alternatives.

Bilder einerseits, Ton und Film andererseits

Alternativtexte zu Bildern werden als so wichtig erachtet, dass Webseiten, die eine solche Alternative nicht bereitstellen, den HTML-Standard nicht erfüllen. Geben Sie als Verfasser einer Webseite keinen adäquaten Alternativtext zu einem Bild an, dann schreiben sie kein gültiges HTML.

Erstaunlicherweise gilt das für Ton- und Filmaufnahmen nicht! Zweifellos bietet HTML auch bei eingebundenen Audio- und Videodateien Mechanismen, den Inhalt dieser Medien alternativ in schriftlicher Form wiederzugeben. Doch ein Verzicht darauf macht kein HTML-Dokument ungültig, obwohl dies beispielsweise für Gehörlose eine kaum überwindbare Hürde darstellen kann.

Worin ist diese Unterscheidung, dass der Verzicht auf Alternativtexte bei statischen Bildern als fehlerhaft, bei Film- und Tondaten aber als lässlich bewertet wird, begründet? Sind Taube den Machern von HTML weniger wert als Blinde?

Eine Spekulation

Oft genug gibt es hinreichend gute Gründe, auf textliche Alternativen bei nicht textlichen Medien zu verzichten. Dessen wurde man sich bewusst, nachdem sie bei statischen Bildern bereits als obligatorisch eingeführt wurden, aber bevor Videos und Audiodateien einen ähnlichen Stellenwert im Web fanden.

Den Alternativtext bei Bildern nachträglich wieder als löblich aber optional zu erklären, stößt allerdings auf Widerstand und wird als politisch inkorrekt betrachtet. Man fürchtet den Eindruck, dass eine Lockerung des Standards sehbehinderten Menschen etwas wegnehmen würde.

Stichwort Zielgruppe

Dass das Web für jeden zugänglich sein soll, klingt ja erst einmal nett. Aber müssen wirklich alle Dinge zugänglich für jeden sein – selbst für jene, die es nicht betrifft? Während Barrierefreiheit im Web in den Fokus von Entwicklern rückte, scheinen Zielgruppen in Vergessenheit geraten zu sein.

Ist es gerechtfertigt, von Autoren zu verlangen, Aufwand in das Abbauen von Barrieren zu investieren, die niemandem im Weg stehen, den der Autor mit seinem Werk ansprechen möchte? Zumal die dafür aufgebrachte Kraft für weitere Inhalte, die tatsächlich ein Publikum haben, verloren geht?

Ein Beispiel: Nutzer ohne grafikfähige Browser gehören nicht zur Zielgruppe von Fotoalben im Web. Warum also ambitionierte Fotografen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche zwingen, die Kunst ihrer Aufnahmen in Worten wiederzugeben, was kaum gelingen kann, Zeit für ihre Kunst raubt und ihrer Zielgruppe sowieso entgeht?

Für den gesunden Menschenverstand

Für mich stellt Barrierefreiheit keinen Selbstzweck dar, zu dem sie aber im Fall der Zementierung eines obligatorischen Alternativtextes bei Bildern in HTML geworden zu sein scheint. Dies schränkt die Freiheit von Urhebern zum Teil unverhältnismäßig ein.

Bestärkt durch Ratschläge eines Freundes ziehe ich für mich die Konsequenz, in dieser Hinsicht weniger Wert auf das Einhalten des HTML-Standards zu legen, und der Stimme des gesunden Menschenverstands den Vorzug zu geben. Auch HTML stünde es gut, hier dem Urteilsvermögen von Autoren mehr Raum zu lassen.