Intervention in Libyen?

In einer Notiz zur aktuellen Situation in Libyen sprach ich mich am 3. März gegen eine militärische Intervention seitens USA und NATO aus.


Am 7. März sendete Horsefreund dazu einen Kommentar:

Im Wesentlichen stimme ich zwar darin überein, dass aus den genannten Gründen ein militärisches Eingreifen unterbleiben könnte. Allerdings stellt sich mir die Frage, ob es vertretbar ist, nicht in diesen Konflikt einzugreifen. Ich meine, dass es durchaus einen Zeitpunkt gibt, an dem man eingreifen müsste. Wo dieser genau verläuft ist für mich noch nicht festlegbar. Den Einsatz von chemischen Waffen, welche es möglicherweise noch gibt, sollte man allerdings nicht mehr tolerieren.

Sollte es ein militärisches Eingreifen geben, so wünsche ich mir dies unter einem UN-Mandat, jedoch keines Falles alleine durch die USA oder Italien (welche den Nichtangriffspakt einseitig ausgesetzt haben1) erfolgen.

Wo verläuft die Grenze von militärischem Eingreifen? Sanktionen gegen Libyen wurden unter anderem von der UNO und der EU bereits beschlossen. Wie steht der Autor des o. g. Textes zu diesen? Will man diese glaubwürdig durchsetzen, könnte es erforderlich werden, einen Durchbrecher der Blockaden gewaltsam durch den Einsatz militärischer Ressourcen zu stoppen. Faktisch kam es bereits zu militärischen Einsätzen auf libyschem Hoheitsgebiet, so beispielsweise die Evakuierung von EU-Bürgern mit Hubschraubern, Flugzeugen und Schiffen.2


  1. Ringen um ein Flugverbot über Libyen. NZZ Online vom 28. Februar 2011.
  2. Deutsche Kriegsschiffe zu Libyen-Einsatz in Malta eingetroffen. Hamburger Abendblatt vom 7. März 2011.

Meine Antwort vom 8. März:

Der Meinung, dass es im Weltgeschehen Momente gibt, in denen ein gewaltsamer Widerstand gerechtfertigt ist, schließe ich mich an. Mit Adolf Hitler bietet gerade die deutsche Geschichte ein Paradebeispiel für einen Tyrannen, dessen Politik gegen Minderheiten so menschenverachtend und mörderisch war, dass ein Einschreiten selbst gerechtfertigt gewesen wäre, hätte es den deutschen Angriffskrieg gegen andere Länder nicht gegeben. Da aufgrund der absoluten Kontrolle des Regimes über den Staat, einschließlich der Justiz, ein Vorgehen auf dem Rechtsweg praktisch unmöglich war, wäre meiner Ansicht nach ein Attentat in einem solchen Fall gerechtfertigt gewesen. Tatsächlich hat diese Überzeugung ihren Weg bis ins Grundgesetz der BRD gefunden, welches Deutschen in Artikel 20, Absatz 4, diese Option als letzten Ausweg gestattet. Dieses Recht haben wohlgemerkt nur die Bürger des eigenen Landes.

Einer gewaltsamen Intervention von außen in innere Angelegenheiten stehe ich grundsätzlich kritischer gegenüber. Ein Staat sollte über sein Schicksal selbst bestimmen können. Wenn Dritte meinen, besser zu wissen, was gut für die anderen ist, und entsprechend eingreifen, führt das trotz bester Motive nicht selten zu einem unerwarteten, schlechten Ergebnis. Ein solches Vorgehen sieht die Charta der Vereinten Nationen übrigens auch nicht vor. Dennoch betrachte ich nicht alles, was innerhalb der Grenzen eines Landes geschieht und nicht der Vorbereitung eines Angriffs auf andere Staaten dient, allein als eine innere Angelegenheit. Die Achtung seiner Menschenwürde und elementarer Grundrechte etwa darf jeder Mensch erwarten, sie dürfen nicht durch nationales Recht beseitigt werden. Systematisches, anhaltendes und schwerwiegendes Verletzen der Menschenrechte geht alle Menschen etwas an. Dass elementare Grundrechte verletzt werden, wird immer wieder vorkommen – Nichteinmischung und Wegschauen aber hieße, diese Rechte aufzugeben.

Dies allgemein zu sagen ist recht einfach. Ein anderes Problem ist, festzustellen, wann ein Fall gegeben ist, der tatsächlich nach Einmischung verlangt. Ich denke, dies wird in vielen konkreten Fällen jene Kompetenz übersteigen, die ich durch den Konsum von höchstens halbwegs neutralen Nachrichten aus der Ferne und eigenem Nachdenken in meinem gemütlichen Wohnzimmer gewinne.

Wieder eine andere Frage ist, welche Mittel der Einmischung wann angemessen sind. Du hast die Frage nach Sanktionen gestellt. Das Waffenembargo unterstütze ich ausdrücklich. Was Reisebeschränkungen gegen führende Mitglieder des Regimes in der aktuellen Situation bringen sollen, ist mir nicht klar. Ich habe aber auch nichts gegen sie einzuwenden, sofern sie der Lösungsfindung nicht im Weg stehen. Das Einfrieren von Konten bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Besitzverhältnisse kann ich nachvollziehen. Grundsätzlich erachte ich einen passiven Widerstand der Art, dass Länder sich dazu entschließen, sich der Kooperation mit einem Regime zu verweigern, für legitim und angemessen. Geht es hingegen darum, eine bestimmte Opposition zu unterstützen, bin ich skeptisch. Insbesondere ist es ein offenkundiger Fehler, davon auszugehen, dass jemand, der sich gegen einen gemeinsamen Feind stellt, automatisch gemeinsame Werte vertritt und ähnlichen Motiven folgt.

Eine militärische Intervention beinhaltet fast immer das Töten von Menschen. Selbst das Einrichten einer Flugverbotszone über Libyen, was vielleicht passiv und relativ friedlich klingt, würde in der Praxis voraussichtlich bedeuten, dass zunächst die Luftabwehr des Landes vernichtet wird, um selbst die Lufthoheit übernehmen zu können. Das heißt, dass Stellungen und Menschen zum Ziel würden, die nichts anderes machen, als zu Recht und pflichtgemäß die Souveränität des libyschen Luftraumes zu verteidigen, und die ferner an den kritisierten Aktionen gegen Oppositionelle nicht beteiligt sind. Dass bei solchen Angriffen oder als Spätfolge, beispielsweise durch nicht sofort detonierte Streumunition, auch gänzlich zivile Opfer zu beklagen sind, wird dabei einerseits hingenommen, und andererseits in der Öffentlichkeit verschwiegen oder beschönigt. Eine militärische Intervention bedeutet in der Praxis stets neue Menschenrechtsverletzungen durch den Intervenierenden.

Dass es unter den aktuellen Umständen für einen militärischen Ein- und Angriff eine Legitimierung durch den Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen geben wird, bezweifle ich. Abgesehen von den genannten Gründen wird dabei sicherlich auch eine Rolle spielen, dass die Vetomächte China und Russland mit verschiedenen Formen des Aufstandes in ihren Ländern selbst immer wieder zu tun haben und sich dabei eine Einmischung von außen verbitten.