Die Marybeth

Die Marybeth ist ein schwarzer Punkt, der durch das Weltall treibt. Schwärzer als die Dunkelheit. Schwärzer noch als die Nacht. Ein bisschen zu schwarz, deshalb kann man sie von nahem betrachtet als schwarzen Fleck vor einem Hintergrund aus Nacht erkennen. Von weitem ist sie nur auszumachen, wenn irgendwo ein Stern fehlt. Das Loch im Himmel ist die Marybeth.

„Schmitt“, sagt Garfeld.
„Was ist?“
„Is das eigentlich ne tödliche Krankheit oder bloß n Pickel?“
„…“
„Krankheit, Pickel, Krankheit, Pickel…“

Garfeld wiegt beide Möglichkeiten mit seinen Händen ab.

„Verdammt! Garfeld! Kannst du dich mal zusammenreißen? Nur ein klitzekleines bisschen … Ich verlang ja nicht, dass du dich angemessen verhältst. Ein bisschen Würde, das ist alles … Mann, wir erfüllen einen letzten Willen. Versuch doch mal zu denken bevor du was sagst!“
„Neh.“
„Was ‚neh‘?“
„Machen wir nicht. Führ dich doch nich auf wie n blöder Totengräber. Wir tun bloß so.“
„Genau das ist es. Wir tun so als ob. Das heißt, ich tue so als ob. Du beschäftigst dich mit meiner Akne.“
„Sollte die nich mal weggehen?“
„Garfeld, halt die Klappe! Das ist meine Akne. Meine Akne geht dich einen Dreck an. Halt einfach die Klappe oder sag etwas Würdevolles.“

Garfeld schweigt. Nun ist sie ein schwarzer, schweigender Punkt, die Marybeth. Durch die getönten Scheiben sehen Schmitt und Garfeld die Sterne. Die Sterne schweigen nicht, aber man kann sie nicht hören, wegen der Leere dazwischen. Die Leere gibt keine Töne weiter. Nur ein paar Elementarteilchen, ein paar Photonen. Plötzlich fängt Garfeld wieder an.

Sein letzter Wille war auf die Erde beerdigt zu werden. – Natürlich Frau XY. – Und ich habe doch nur ein paar hundert Millimol Gold. – Natürlich Frau XY. – Ich bin eine arme alte Frau. – Dafür haben wir Verständnis Frau XY. Wir sind doch keine Kapitalisten, wir sind ein Bestattungsinstitut. – Ach, ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. – Frau XY, wenn Ihr Sohn in Frieden ruht, sind auch wir zufrieden. Das ist uns Dank genug. – Sie sind so ein gütiger junger Mann …

Garfeld wischt sich übertrieben eine imaginäre Träne weg.

Ein Kaffee wäre allerdings sehr angenehm, Frau XY, natürlich nur wenn Sie … – Natürlich, Herr Schmitt, selbstverständlich. – Das Gold stellen sie am besten zur Tür … Schmitt, es kotzt mich an sag ich dir.“

Schmitt rollt mit den Augen.

„Du hättest Schauspieler werden sollen. Und jetzt krieg dich wieder ein.“
„Die ganze scheinheilige Tüte is doch deine Idee. Verlang nich von mir, dass ich mich wie n blöder Totengräber aufführ.“
„Weißt du was, Garfeld?“
„Diese ehrlichen Jobs gehn mir so was von aufn Senkel. Kacke, ich will was Bodenständiges machen.“
„Ach ja?“
„Ach ja!“
„Und an was haben wir dabei gedacht?“
„Ich kündige. Ich werd wieder n Pirat.“
„…“
„Schmitt, schieß den Alten raus und lass uns endlich was Ordentliches tun. Is doch egal ob wir n hier rausschmeißen oder im Gürtel.“
„Verdammt Garfeld! Okay. Du bist wieder eingestellt – und jetzt krieg dich ein.“

Schmitt tippt etwas in seine nach Pizza riechende Tastatur. Der Bauch der Marybeth öffnet sich langsam. Jetzt ist sie heller als der Hintergrund aus Nacht. Im schwachen Schein des Inneren des Schiffes entfernt sich ein Körper von der Marybeth. Dann schließt sich der Bauch wieder. Die Marybeth verschmilzt mit dem Hintergrund.


  1. Dezember 2004